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Die Seelenburg

„sind Werke der Liebe und andere äußere Beschäftigungen, sowie das Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes, der diejenigen nie verläßt, die auf ihn hoffen“[1].

Bei all diesen Leiden bleibt es der Seele doch nicht verborgen, wie nahe sie dem Herrn bereits ist. Er macht sich bemerkbar durch „feine und zarte Antriebe, die vom Innersten der Seele ausgehen … Sie sind ganz verschieden von allem, was wir in uns selbst anregen können, und ebenso von den eben schon besprochenen Süßigkeiten.

Oft, wenn die Seele ganz unbekümmert ist und gar nicht an Gott denkt, wird sie von Seiner Majestät wie durch einen schnell sie durchbohrenden Pfeil oder wie durch einen plötzlichen Donner geweckt. Sie hört zwar keinen Schall, aber sie erkennt gar wohl, daß Gott sie gerufen und zwar so deutlich, daß sie manchmal, besonders, wenn ihr diese Gnade noch neu ist, erzittert und sogar klagt, obgleich sie nichts Schmerzliches empfindet. Sie fühlt sich auf das lieblichste verwundet, ohne jedoch zu wissen, wie und von wem sie die Wunde empfangen; aber das erkennt sie gut, daß dieselbe etwas Kostbares ist, und sie möchte gar nie mehr davon geheilt werden“[2]. Obwohl sie ihren Bräutigam „als gegenwärtig erkennt, will er sich doch nicht so offenbaren, daß sie seiner genießen könnte. Das ist ihr „eine große, jedoch liebliche und süße Pein“, deren sie sich nicht entledigen möchte, „weil sie eine größere Befriedigung dabei empfindet als selbst bei der wonnigen Vertiefung im Gebet, die ohne Pein ist“. Gott gibt ihr seine Anwesenheit in der Seele durch „ein so gewisses Zeichen“ bekannt, „daß sie unmöglich zweifeln kann, und durch ein so durchdringendes Pfeifen, daß ihr ein Nichthören unmöglich ist… Denn wenn der Bräutigam, der in der siebenten Wohnung sich befindet, auf diese Art, die aber kein förmliches Reden ist, zur Seele spricht, scheint es nicht anders, als daß alle Bewohner der anderen Gemächer, die Sinne, die Einbildungskraft und die übrigen Kräfte, sich nicht zu regen wagen“[3]. Dabei „bleiben alle Sinne und Kräfte von jeder Versenkung frei. Sie schauen zu, was dies sein könnte, ohne jedoch irgendwie die Seele zu stören, und meines Erachtens unfähig, etwas zur Vermehrung oder Verminderung dieser wonnigen Pein beizutragen“[4].


  1. a.a.O. S. 152.
  2. a.a.O. S. 155.
  3. a.a.O. S. 156.
  4. a.a.O. S. 158.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die Seelenburg. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/52&oldid=- (Version vom 31.7.2018)