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Die Seelenburg

zum Lieben anzuregen vermag; denn dazu ist dieser äußerst geweckt, während er sich den Geschöpfen gegenüber wie schlafend verhält und kein Verlangen hat, sich mit irgendeinem solchen zu beschäftigen. Dies dauert einen Tag, ja auch mehrere Tage so fort“[1].

Dem Wesen nach mit der Verzückung eins, aber in seinem Verlauf „im Innern… in einer von dieser ganz verschiedenen Weise empfunden“, ist das, was die Heilige Geistesflug nennt; wobei man „urplötzlich eine hastige Bewegung der Seele merkt und der Geist mit einer solchen Schnelligkeit dahingerissen zu werden scheint, daß man, besonders am Anfang, von großer Furcht befallen wird“[2]. Das „geschieht in einer Weise, daß es wahrhaftig den Anschein hat, der Geist scheide vom Leibe; und doch ist es andererseits gewiß, daß die Person nicht tot ist. Indessen kann sie wenigstens für einige Augenblicke selbst nicht sagen, ob die Seele im Leibe ist oder außer dem Leibe. Ist sie aber wieder zu sich gekommen, so meint sie in einem ganz anderen Lande gewesen zu sein, als in dem wir leben“[3]. Dabei wird „ihr in einem Augenblick vieles auf einmal gelehrt…, von dem sie, selbst wenn sie viele Jahre lang mit ihrer Einbildungskraft und ihrem Verstand sich mühen wollte, auch nicht den tausendsten Teil zu erdenken vermöchte“.

Was hier mit der Seele vorgeht, sucht die Heilige so zu erklären, „daß die Seele, die mit dem Geist eins ist wie auch die Sonne und ihre Strahlen eins sind, während sie in ihrem Wohnsitz bleibt, durch die Kraft der Wärme, die ihr von der wahren Sonne der Gerechtigkeit zukommt, einem gewissen höheren Teil nach sich über sich selbst erhebt“[4]. Der Geistesflug geht schnell vorüber, aber es bleibt der Seele ein großer Gewinn zurück: „… Erkenntnis der Größe Gottes… Selbsterkenntnis und Demut bei dem Gedanken, wie ein im Vergleich mit dem Schöpfer so großer Herrlichkeiten so niedriges Wesen es gewagt habe, ihn zu beleidigen, und wie es ferner noch wage, zu ihm das Auge zu erheben …; … eine große Geringschätzung aller Dinge dieser Erde, insofern sie nicht zum Dienst eines so großen Gottes angewendet werden können“[5]. Als weitere Wirkung bleibt eine große Sehnsucht zu sterben und das Verlangen, sich vor der geringsten Unvollkommenheit zu hüten.


  1. a.a.O. S. 186 f.
  2. a.a.O. S. 189 f.
  3. a.a.O. S. 194.
  4. a.a.O. S. 196.
  5. a.a.O. S. 197.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die Seelenburg. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/56&oldid=- (Version vom 31.7.2018)