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Darstellung der hl. Teresia von Jesus

zu wirken scheinen, je nach der Wonne (oder: der Erkenntnis)[1]. Auch scheint mir, daß die Seele etwas von ihren Vermögen Verschiedenes ist…“

Der Vermählung ging bei der Heiligen eine Vision der Einbildungskraft voraus: der Herr zeigte sich ihr „nach der Kommunion in einer hellglänzenden Gestalt von ausgezeichneter Schönheit und großer Majestät, wie er nach seiner Auferstehung war, und sprach zu ihr, es sei nun Zeit, daß sie fortan sich seiner Angelegenheiten als der ihrigen annehme, er dagegen werde für die ihrigen Sorge tragen“[2]. Die Vermählung selbst „geht im innersten Mittelpunkt der Seele vor sich, an dem Ort, wo Gott selbst wohnen muß. Meines Erachtens bedarf er auch keiner Tür, um da einzugehen …; denn bei allem bisher Besprochenen scheint er sich der Sinne und der Vermögen zu bedienen, und auch die erwähnte Erscheinung der Menschheit des Herrn muß wohl in dieser Weise geschehen sein. Was aber bei der Vereinigung durch die geistige Ehe vor sich geht, ist ganz anderer Art. Hier zeigt sich der Herr der Seele in ihrem Mittelpunkt nicht in einer einbildlichen, sondern in einer Verstandesvision, die noch feiner ist, als die früher besprochenen, so wie er, ohne durch die Tür einzugehen, den Aposteln erschienen ist, als er zu ihnen sprach: „Der Friede sei mit euch!“[3] Was Gott hier der Seele in einem Augenblick mitteilt, ist ein so großes Geheimnis, eine so hohe Gnade und erfüllt sie mit einer so außerordentlichen Wonne, daß ich es mit nichts anderem vergleichen kann als mit der himmlischen Glorie, die der Herr ihr für jenen Augenblick offenbaren will, und zwar auf eine so erhabene Weise wie durch keine andere Vision oder geistige Süßigkeit. Man kann darüber nicht mehr sagen, als daß die Seele oder vielmehr der Geist der Seele, soviel man es erkennen kann, eins mit Gott geworden ist, der, da er selbst ein Geist ist, seine Liebe zu uns dadurch zeigen wollte, daß er einigen Personen offenbarte, wie weit dieselbe gehe, damit wir die Größe seiner Erbarmung preisen. Denn in solcher Weise hat er sich mit dem Geschöpf verbinden wollen, daß er sich nicht mehr davon trennen will…[4]

Der Strom, der sich der Seele mitteilt, überflutet von ihrem Innersten her auch ihre Kräfte. Es ist „deutlich wahrzunehmen, daß in unserem Innern… eine Sonne vorhanden ist, von der ein helles


  1. a.a.O. S. 271 Anm.: sabor oder saber.
  2. a.a.O. S. 272.
  3. Luk. 24, 36.
  4. Seelenburg, S. 273 ff.
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Edith Stein: Die Seelenburg. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/59&oldid=- (Version vom 31.7.2018)