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Darstellung Edith Steins

die sich in dem unmittelbar bewußten seelischen Leben betätigen, und schließlich sogar das Wesen der Seele.

Und das ist wiederum ein Punkt, in dem wir eine Übereinstimmung zwischen unserer Darstellung und den Zeugnissen der Heiligen festzustellen haben: weil die Seele ein persönlich-geistiges Gebilde ist, darum ist ihr Innerstes und Eigentlichstes, ihr Wesen, aus dem ihre Kräfte und das Wechselspiel ihres Lebens entspringen, nicht nur ein unbekanntes X, das wir zur Erklärung der erfahrbaren seelischen Tatsachen annehmen, sondern etwas, was uns aufleuchten und spürbar werden kann, wenn es auch immer geheimnisvoll bleibt.

Der seltsame Gang, den die Seele bei ihrer Einkehr nach der Beschreibung der Heiligen zurücklegt – daß sie gleichsam sich selbst von den Ringmauern bis zum Innersten durchmißt –, wird vielleicht ein wenig verständlicher durch unsere Scheidung von Seele und Ich. Das Ich erscheint als ein beweglicher Punkt im Raum der Seele; wo es jeweils seinen Standort nimmt, da leuchtet das Licht des Bewußtseins auf und erhellt einen gewissen Umkreis: sowohl im Innern der Seele wie in der gegenständlichen Welt, der das Ich zugewendet ist. Trotz seiner Beweglichkeit ist das Ich aber doch wiederum gebunden: an jenen selbst unbeweglichen Mittelpunkt der Seele, in dem es eigentlich zu Hause ist. Hierhin wird es immer wieder gerufen und zwar – das ist wieder ein Punkt, in dem wir über das hinausgehen mußten, was uns die Seelenburg bezeugt – nicht nur zur höchsten mystischen Begnadung, der geistlichen Vermählung mit Gott, sondern um von hier aus die letzten Entscheidungen zu treffen, zu denen der Mensch als freie Person aufgerufen wird.

Der Mittelpunkt der Seele ist der Ort, von dem aus die Stimme des Gewissens sich vernehmen läßt, und der Ort der freien persönlichen Enscheidung. Weil es so ist und weil zur liebenden Vereinigung mit Gott die freie persönliche Hingabe gehört, darum muß der Ort der freien Entscheidung zugleich der Ort der freien Vereinigung mit Gott sein. Von hier aus wird es auch verständlich, warum von der heiligen Mutter Teresia (ebenso wie von anderen Geisteslehrern) die Hingabe des Willens an den göttlichen als das Wesentlichste an der Vereinigung angesehen wird: die Hingabe unseres Willens ist das, was Gott von uns allen verlangt und was wir leisten können. Sie ist das Maß unserer Heiligkeit. Sie ist zugleich die Bedingung der mystischen Vereinigung, die nicht in unserer Macht steht, sondern

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die Seelenburg. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/67&oldid=- (Version vom 31.7.2018)