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Martin Heideggers Existentialphilosphie

... bleibt im Grunde blind und eine Verkehrung ihrer eigensten Absicht, wenn sie nicht zuvor den Sinn von Sein zureichend geklärt und diese Klärung als ihre Fundamentalaufgabe begriffen hat“[1]; andererseits mit der Behauptung, daß bisher nicht nur keine befriedigende Lösung, sondern nicht einmal angemessene Fragestellung gelungen sei. Die bedeutsamen Ansätze bei Plato und Aristoteles hätten nicht ans Ziel kommen können, weil die ganze antike Ontologie eine bestimmte Seinsweise – das Vorhandensein – als das Sein schlechthin angesehen habe. In der Folge habe man das Sein immer als das Allgemeinste und Selbstverständlichste vorausgesetzt, das keiner Definition mehr fähig und bedürftig sei. Im übrigen habe man sich an die antike Ontotogie gehalten, und zwar nicht nur das ganze Mittelalter hindurch, sondern auch in den einflußreichsten Versuchen der Neuzeit: Descartes und Kant.

Um auf die Frage nach dem Sinn des Seins eine Antwort zu bekommen, müsse man das Seiende befragen, und zwar nicht ein beliebiges, sondern das Seiende, zu dessen Sein das Fragen nach dem Sinn des Seins und ein gewisses vorläufiges (vor-ontologisches) Seinsverständnis gehört. Dieses Seiende, „das wir selbst je sind“, wird Dasein genannt[2], „weil die Wesensbestimmung dieses Seienden nicht durch die Angabe eines sachhaltigen Was vollzogen werden kann, sein Wesen vielmehr darin liegt, daß es je sein Sein als seiniges zu sein hat“[3]. Weil sein Seinsverständnis sich nicht nur auf sein eigenes Sein erstreckt (das Existenz genannt wird), sondern auch auf das nicht daseinsmäßige Seiende, „muß die Fundamentalontologie, aus der alle anderen erst entspringen können, in der existentialen Analytik des Daseins gesucht werden“[4]. Darum wird der I. Teil des Werkes der Deutung des Daseins gewidmet: der erste Abschnitt enthält eine vorbereitende Auseinanderlegung des Daseins, der zweite will als „Sinn des Seienden, das wir Dasein nennen ... die Zeitlichkeit“ aufweisen[5]. Und weil zum Sein dieses Seienden das Seins Verständnis gehört, darum muß die „Zeit als Horizont des Seinsverständnisses aus der Zeitlichkeit als Sein des seinsverstehenden Daseins“ ... „ans Licht gebracht und gemein begriffen werden“[6]. In einem dritten Abschnitt sollte „Zeit und Sein“ behandelt werden; und zwar in dem


  1. a.a.O. Einleitung S. 11.
  2. a.a.O. S. 7.
  3. a.a.O. S. 12.
  4. a.a.O. S. 13.
  5. a.a.O. S. 17.
  6. a.a.O. S. 17.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/70&oldid=- (Version vom 31.7.2018)