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Sein und Zeit

Nacheinander, als Fluß des Jetzt...“[1]. Dieser Welt-Zeit, d.i. Jetzt-Zeit fehlt die Datierbarkeit (d.i. Bedeutsamkeit) der Zeitlichkeit: diese ist die ursprüngliche Zeit. Weil die Zeit als vorhandene Jetzt-Folge aufgefaßt wird, nennt man sie Abbild der Ewigkeit (Plato). Die Gespanntheit der Welt-Zeit, die aus der Erstrecktheit der Zeitlichkeit folgt, bleibt verdeckt. Weil jedes Jetzt zugleich als ein Soeben und Sofort gefaßt wird, ergibt sich die Auffassung der Zeit als einer unendlichen. Das gründet in der Sorge, die vor dem Tode flieht und von dem Ende absieht. Man spricht vom Vergehen, aber nicht vom Entstehen der Zeit, weil man sich die Flüchtigkeit der Zeit nicht verbergen kann: das Dasein kennt sie „aus dem flüchtigen Wissen um seinen Tod“[2].

Auch in der Unumkehrbarkeit der Zeit offenbart sich ihr Ursprung aus der Zeitlichkeit, die primär zukünftig ist.

Aus dem vulgär verstandenen Jetzt ist der Augenblick nicht zu erklären, ebensowenig das datierbare Dann und Damals. Dagegen entspringt ihm der traditionelle Begriff der Ewigkeit als eines stehenden Jetzt. Von der ursprünglichen Zeitlichkeit her könnte Gottes Ewigkeit nur als unendliche Zeit verstanden werden. In der Zusammenstellung von Zeit und Seele oder Geist bei Aristoteles, Augustinus, Hegel eröffnet sich ein Zugang zum Verständnis des Daseins als Zeitlichkeit.

Die Analyse des Daseins war der Weg, um die Frage nach dem Sinn des Seins vorzubereiten. Der Unterschied zwischen daseinsmäßigem und nicht daseinsmäßigem Sein ist bisher nicht aufgeklärt; ebensowenig die Tatsache, daß die ontologische Deutung sich seit alters immer am dinglichen Sein orientiert hat und immer wieder darein verfällt. Alles war darauf angelegt, als Grundverfassung des Daseins die Zeitlichkeit nachzuweisen. So endet die Untersuchung mit der Frage: „Führt ein Weg von der ursprünglichen Zeit zum Sinn des Seins? Offenbart sich die Zeit selbst als Horizont des Seins?“[3].


B. Stellungnahme

Das Ziel des ganzen Werkes war nichts anderes als die Frage nach dem Sinn des Seins richtig zu stellen. Ist nun die Frage, in die es


  1. a.a.O. S. 422.
  2. a.a.O. S. 426.
  3. a.a.O. S. 438
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Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/89&oldid=- (Version vom 31.7.2018)