Seite:Eichhorn Einsegnungsunterricht 1917 111.png

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In der römischen Kirche liegt das offen zu Tag in der Lehre von den Heiligen. Aber auch auf reformiertem Boden finden wir den Perfektionismus d. h. die Anschauung vieler aus dem Methodismus Hervorgegangenen, daß der Mensch schon in diesem Leben zur Sündlosigkeit gelangen könne, von welcher Anschauung auch die extreme Gemeinschaftsrichtung nicht freizusprechen ist.

Im Unterschied davon trägt das lutherische Christentum in seiner Uebung der Sittlichkeit einen nüchternen, klaren Charakter. Wie war es an Jesu so groß, daß er in den Schranken blieb, in welche die menschliche Ordnung, ja selbst das jüdische Herkommen ihn wies. Innerhalb dieser gottgesetzten Schranken führte er seinen Wandel auf Erden und hat wohlgetan und gesund gemacht die vom Teufel überwältigt waren. Alles in höchster Einfachheit und Nüchternheit. Wie unterscheidet er sich doch von Johannes, der noch nicht das Evangelium repräsentierte. Jener aß und trank nicht; des Menschen Sohn isset und trinket. Er lebte so ganz innerhalb der menschlichen Natur, so aber, daß er vollkommenen Gehorsam gegen den Vater darin betätigte. Ein nüchternes, einfaches, klares Christentum ist auch bei Luther zu bemerken. Wie war er der rechte deutsche Mann und Familienvater, der sich freuen konnte an allen Werken Gottes, an den Blumen seines Gartens, der nicht in kühler Zurückhaltung menschliche Gefühle unterdrüekte, wie Calvin, der beim Tode des einzigen Kindes die Worte schrieb: „Gott gab, Gott nahm.“ Wie anders Luther, der beim Tode seines Vaters und seiner Mutter oder seines Töchterleins Magdalene sich nicht geschämt hat, seinen Tränen freien Lauf zu lassen. Er besaß auch Verständnis für die Kunst, wie er sagt: „Denn der ich nicht der Meinung bin wie etliche Abergeistliche fürgeben, daß ich die Künste mißachte; ich wollte sie vielmehr alle sehen, zumal die Musika, im Dienste desen, der sie geschaffen hat.“ Das ist lutherisches Christentum: Verklärung und Heiligung des natürlichen Lebens, in dessen Grenzen man bleibt.


III.

Ganz entsprechend ist nun die Frucht der Kirche der Reformation im öffentlichen Leben.

In der äußeren Organisation, das haben wir schon hervorgehoben, weist die Kirche der lutherischen Reformation manche Mängel auf, gewiß nicht ohne göttliche Fügung. Nur das reine Wort und Sakrament sollte ihr Kleinod sein; nach Seiten der Verfassung insbesondere hat sie nichts Großes geleistet. Rom wollte die Weltbeherrschung auf jedem Gebiet und die ganze römische Art zeigt eine Weltverklärung, die jetzt schon vorweg genommen wird, nachdem, sie doch erst der Vollendung zukommen soll. Die Reformierten versuchten, ins alttestamentliche Wesen zurückfallend, in