Seite:Ein Brief an die amerikanischen Arbeiter (1918).djvu/7

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fielen vorübergehend zusammen. Zur Abwehr der vorrückenden raubgierigen Deutschen machten wir uns im Interesse der russischen und der internationalen sozialistischen Revolution die ebenso raubgierigen Gegeninteressen der andern Imperialisten zunutze.

Auf diese Weise förderten wir die Interessen der Arbeiterklasse Russlands und anderer Länder; so stärkten wir das Proletariat und schwächten die Bourgeoisie der ganzen Welt, indem wir von der absolut gesetzmässigen und in jedem Kriege unumgänglichen Methode des Manöverierens, des Lavierens und Abwartens des Moments Gebrauch machten, bis die schnell reifende proletarische Revolution in den vorgeschrittenen Ländern zur vollen Reife gelangen würde.

Und so sehr die Haie des anglo-französischen und amerikanischen Imperialismus rasen und toben mögen, so sehr sie uns verleumden mögen, soviel Millionen sie auch zur Bestechung der rechts-sozialrevolutionären, der menschewistischen und der übrigen sozialpatriotischen Zeitungen ausgeben mögen – ich würde keine Sekunde zögern, ein ebensolches Abkommen auch mit den Räubern des deutschen Imperialismus zu schliessen, im Fall der Vormarsch anglo-französischer Truppen in Russland es erfordern würde. Und ich weiss bestimmt, dass die zielbewussten Proletarier Russlands, Deutschlands, Frankreichs, Englands, Amerikas, kurz der ganzen zivilisierten Welt meine Taktik billigen würden. Eine solche Taktik würde das Werk der sozialistischen Revolution erleichtern, ihren Aufschwung beschleunigen, die internationale Bourgeoisie schwächen und die Position der siegreichen Arbeiterklasse befestigen.

Das amerikanische Volk hat schon längst, und zwar zum Vorteil der Revolution diese Taktik angewandt. Als die Amerikaner ihren grossen Befreiungskrieg gegen ihre Unterdrücker, die Engländer, führten, hatten sie auch mit anderen Unterdrückern, Franzosen und Spaniern zu tun, denen damals ein Teil der jetzigen Vereinigten Staaten von Nordamerika gehörte. In seinem schweren Befreiungskampfe schloss damals das amerikanische Volk „Abkommen“ mit den einen Unterdrückern gegen die anderen, um die Unterdrücker zu schwächen und diejenigen zu stärken, die gegen die Unterdrückung kämpfen – also im Interesse der grossen Massen der Unterdrückten. Das amerikanische Volk nutzte den Antagonismus zwischen den Franzosen und den Engländern aus, kämpfte zuweilen sogar gemeinsam mit den Armeen der einen Unterdrücker, der Franzosen und Spanier, gegen die anderen Unterdrücker, die Engländer; und so überwand es zuerst die Engländer und machte sich dann (zum Teil mit Hilfe des Loskaufs) von den Franzosen und Spaniern frei.

Ein Ausspruch des grossen russischen Revolutionärs Tschernyschewski lautet: die politische Tätigkeit ist nicht so glatt wie das Trottoir des Newsky Prospekt. Der ist kein Revolutionär, der die Revolution des Proletariats nur unter der „Bedingung“ gelten lässt, dass sie glatt und leicht vonstatten gehe, dass die Proletarier verschiedener Länder sofort in Aktion treten, dass von vornherein vor Niederlagen garantiert werde, dass die Revolution den breiten, freien und geraden Weg dem Sieg entgegenschreite, dass man nicht hie und da – auf dem Weg zum Sieg – die schwersten Opfer tragen müsse, nicht in der belagerten Festung ausharren, und nicht auf den schmalsten, unzugänglichsten gewundenen und gefährlichen Bergpfaden emporklimmen müsse. Der ist kein Revolutionär, – der hat sich vom Pedantismus der bürgerlichen Intelligenz nicht befreit, – der wird in Wirklichkeit immer wieder in das Lager der konterrevolutionären Bourgeoisie hinabrollen, wie unsere Rechts-Sozialrevolutionäre, die Menschewiki und sogar (wenn auch viel seltener) die Links-Sozialrevolutionäre.

Als Abklatsch der Bourgeoisie lieben es diese Herren, uns das „Chaos“ der Revolution, die „Zerstörung“ der Industrie, die Arbeitslosigkeit und den Brotmangel vorzuhalten. Wie heuchlerisch sind doch diese Beschuldigungen von seiten der Leute, die den imperialistischen Krieg begrüssten und unterstützten, oder mit dem Kriegsfortsetzer Kerensky einig waren! Ist nicht der imperialistische Krieg an all diesem Unheil schuld! Die Revolution, die aus dem Kriege geboren ist, muss notgedrungen durch die ungeheueren Schwierigkeiten und Qualen, – durch dieses Erbteil der mehrjährigen, zerstörerischen, reaktionären Volksschlächterei hindurchgehen. Uns „Zerstörung“ der Industrie oder „Terror“ vorwerfen, bedeutet Heuchelei oder plumpe Pedanterie, bedeutet, die Unfähigkeit, die elementarsten Vorbedingungen des rasenden, an die Spitze getriebenen Klassenkampfes zu erfassen, der Revolution heisst.

Wenn die Ankläger dieser Art den Klassenkampf „anerkennen“, so beschränken sie sich auf Zugeständnisse bloss in Worten; in der Tat aber verfallen sie wieder und immer wieder in die kleinbürgerliche Utopie der „Klassenversöhnlichkeit“ und des gegenseitigen