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Walther Kabel: Ein Ring in einem Stückchen Brot (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

Ein Ring in einem Stückchen Brot spielte bei einer fürstlichen Verlobung einst eine große Rolle. Im Jahre 1815 weilte Großfürst Nikolaus, der später als Nikolaus I. den russischen Thron bestieg, zu längerem Besuch am preußischen Hofe. König Friedrich Wilhelm III. hätte eine Verbindung seiner Tochter Charlotte mit dem Großfürsten recht gern gesehen, mochte aber die damals erst fünfzehnjährige Prinzessin in keiner Weise beeinflussen. Jedenfalls näherte sich der Besuch des Großfürsten seinem Ende, ohne daß dieser den Mut fand, sich der Prinzessin, die ebenso liebreizend wie klug war, zu erklären.

Bei der Abschiedstafel hatte man die beiden nebeneinander gesetzt. Der Großfürst, heute auffallend still, sagte dann plötzlich unvermittelt zu seiner Tischdame: „Ich reise morgen.“

Die Prinzessin entgegnete verbindlich: „Es wird uns allen herzlich leid tun, daß Sie uns verlassen. Kann Ihre Abreise nicht aufgeschoben werden?“

„Das hängt von Ihnen ab!“

„Und was hätte ich dabei zu tun?“

„Sie müssen meine Verehrung nicht zurückweisen.“

„Das ist alles?“

„Nein, Sie müßten mich auch ermutigen.“

„Das ist schon schwerer.“

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Ein Ring in einem Stückchen Brot (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1915, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_Ring_in_einem_St%C3%BCckchen_Brot.pdf/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)