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Anonym: Ein Schlaukopf (Zeit im Bild, Jahrgang 1908)

Ich glaube nicht, daß mir in meinem Leben schon etwas so zugefallen ist. Ich sagte mir: „Das ist doch anders, als schwer zu arbeiten fürs tägliche Brot. Da heißt es immer: „Ehrlich währt am längsten,“ aber was bringt mir die Ehrlickeit ein? Keine Banknoten und keine Säcke voll Juwelen. Nein (mein Sack war beinahe voll), wenn man voran kommen will, eine nette Rente und eine gute Flasche abends, dann muß man zugreifen, wenn es Zeit ist –“

Ich hörte Kleiderrauschen neben mir und drehte meine Laterne um. Das Herz schlug mir bis zum Halse, in der Hand hielt ich den Revolver. Gott sei Dank, das war ja nur mein Mädchen. Ich ließ die Waffe sinken. Sie war höchst elegant angezogen und sah ganz wie eine Dame aus.

„Alles eingepackt?“ fragt sie flüsternd.

„Nun, nicht gerade alles,“ antworte ich, „aber so viel ich packen konnte. Ich will jetzt fort.“

„Sind meine zweihundert Mark im Kamin?“

Herrgott, hat das Frauenzimmer Sinn fürs Geschäft.

„Geben Sie her,“ sagt sie, die Hand ausstreckend. „Sie wären imstande, sie zu vergessen.“

Ich zählte ihr das Geld vor und griff nach meinem Sack.

„Guten Abend, Miß, wir sehen uns hoffentlich bald wieder.“

„Sehr freundlich, das zu sagen. Mir ist, als könnte ich Sie noch nicht gehen lassen.“ Ihre Hand streifte leicht über die Wand. „Wir haben uns so schnell befreundet.“

Ich kann euch nicht sagen, wie mir zumute war, als sie so redete. Ich hätte dem Mädchen auf dem Fleck einen Antrag gemacht, wenn ich nicht so eilig gewesen wäre. Jedes Ding hat seine Zeit, sage ich immer, und jetzt war für Liebeleien nicht der richtige Moment.

Es ist nur schlimm, wenn man sich einmal mit ihnen eingelassen hat, wird man sie so bald nicht wieder los.

Ich wollte ihr zum Abschied einen Kuß geben, aber sie stieß einen Schrei aus.

„Halt,“ rief sie, „noch einen Schritt, und Sie sind des Todes!“

Sie hielt mir eine glänzende kleine Pistole vor den Kopf, während sie die andere Hand wieder an die Wand drückte. Draußen erklangen eilige Fußtritte, die Tür wurde aufgerissen, und ein kräftiger junger Mann im Gesellschaftsanzuge stürzte herein. Mehrere Diener folgten ihm.

„Meine geliebte Nora!“ rief er, dann sprang er auf mich zu und erwürgte mich beinahe.

„Laßt mich los!“ schrie ich. „Wo ist die Gräfin? Laßt mich los, zum Kuckuck! Ich habe ihr was zu sagen. Von ihrem netten Kammermädchen da. Sie hat mir vierhundert Mark abgenommen.“

„Und hat die Absicht, sie zu behalten,“ lachte sie. „Das ist ein netter Anfang für meine Suppenanstalt im Dorfe.“

Ich hatte die Gräfin selbst bestochen! Jetzt wandte sie sich an den Grafen. „Siehst du nun, Herbert, wie schlecht dein Haus behütet ist?“

„Du hast recht, mein Schatz,“ antwortete der Graf, „von jetzt an sollst du deine eigenen Anordnungen treffen.“


Empfohlene Zitierweise:
Anonym: Ein Schlaukopf (Zeit im Bild, Jahrgang 1908). Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_Schlaukopf.pdf/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)