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Walther Kabel: Ein Strandspaziergang mit Lebensgefahr. In: Die Burg, 2. Jahrgang, S. 449–452

Plötzlich wies Freund Karl auf einen Husaren, der aus einem sich am Strande hinziehenden Gehölz hervorsprengte, dann bei den Spaziergängern vor uns Halt machte und unter lebhaftem Schwenken seiner Lanze auf sie einredete, wobei er öfters landeinwärts deutete. Doch unbekümmert setzten wir unsern Weg fort, fanden auch nichts auffälliges dabei, daß die Gesellschaft vor uns plötzlich das Ufer verließ und in dem Wäldchen verschwand, begleitet von dem Reitersmann, der sich mit einem Mal auf seinem Grauschimmel umdrehte und auch uns einige Worte zurief, die bei der weiten Entfernung jedoch nicht zu verstehen waren, und die wir in glücklichem Übermut durch fröhliches Hutschwenken beantworteten.

Was der Husar eigentlich wollte, ahnten wir beide nicht. Und daß die Spaziergänger so plötzlich vom Strande abbogen, erklärten wir uns einfach damit, daß ihnen der Marsch durch den lockeren Seesand bei der drückenden Wärme zu beschwerlich geworden war.

„Wahrscheinlich hat der Reitersmann auch uns nur auf den besseren Weg oben auf den Dünen aufmerksam machen wollen“, meinte Karl lachend. Und so stapften wir weiter durch den von der Sonne durchglühten Sand unserem Ziele entgegen.

Weitere zehn Minuten verstrichen. Vor uns dehnte sich jetzt ein langer, flacher Uferstreifen aus, der uns einen Ausblick bis auf die gelblichen Hügel des großen Exerzierplatzes der Danziger Garnison gestattete. Während wir gerade einen Augenblick stehen geblieben waren, um uns eine Zigarette anzuzünden, hörten wir mit einem Male über uns in der Luft seltsame, singende Töne, die wir zuerst für die Stimme irgend eines Vogels hielten und nicht weiter beachteten. Sorglos schritten wir weiter … Dann – immer häufiger über uns dieser zischende Laut, immer häufiger. Wir schauen uns um, unsere Augen suchen nach der Vogelschar, die allein dieses Geräusch verursachen kann. Aber nirgends ein lebendes Wesen, nirgends. Selbst die unbeholfen umherhüpfenden Krähen sind verschwunden … Und plötzlich deutet Karl auf das Ufer, auf die See hinaus …

Jetzt erst bemerke ich, daß um uns herum der weiße Seesand in kleinen Kaskaden aufspritzt, hier ein Wölkchen, dort – überall. Und ebenso sprüht‘s im Wasser in niedrigen Tropfenfontänen mit scharfem Zischen, als würde glühendes Eisen hineingestoßen …

Da weicht mir jede Spur von Farbe aus dem Gesicht – ich fühl‘s so genau –, der zitternden Hand entfällt die Zigarette, halb irren Blickes stiere ich, unfähig, mich zu regen, sekundenlang geradeaus … Vor meinen Augen blitzen farbige Funken auf, ein Schwindel packt mich, und erst Freund Karls verwunderte, arglose Frage … „Aber Herbert, was hast Du nur …?!“ läßt mich meine ganze Energie zusammenraffen, klärt meine Gedanken … Ein schneller Blick nach rückwärts. Und wirklich, was ich ahnte, erblickte ich dort vielleicht fünfhundert Meter hinter uns: In den Dünen flatterte an einer hohen Stange eine große, rote Flagge, die für uns vorhin, als der Husar uns anrief, durch einige Bäume verdeckt gewesen war … Da wurde mir das Furchtbare unserer Lage mit einem Male klar: …

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Ein Strandspaziergang mit Lebensgefahr. In: Die Burg, 2. Jahrgang, S. 449–452. Verlag der Paulinus Druckerei, Trier 1914, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_Strandspaziergang_mit_Lebensgefahr.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)