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Walther Kabel: Ein Theater, in dem die Zuschauer bezahlt werden. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 7, S. 235–237

zu den breitesten und tiefsten gehört, obgleich niemand dies dem von außen recht klein erscheinenden Theatergebäude ansieht.

Dieser Kunsttempel nennt sich nach seinem ausschließlichen Zweck „Probentheater“. Ein festes Ensemble von Schauspielern ist nicht vorhanden. Vielmehr steht das Theater jedem gegen eine bestimmte Stundenpacht zur Verfügung. Vielfach sind es Anfänger des Schauspielerberufs, die sich zusammentun und dort die verschiedensten Stücke aufführen, um sich größere Gewandtheit und Sicherheit anzueignen und das Lampenfieber überwinden zu lernen. Auch die zahlreichen Londoner Theaterschulen gehören zu den ständigen Kunden des Probentheaters und geben dort ihren Schülern Gelegenheit, sich auf einer großen Bühne bewegen zu lernen. Nicht selten mieten auch andere Londoner Theater diesen kleinen Musentempel, um dort mit ihrem Personal regelrechte Proben abzuhalten, wenn ihre eigene Bühne durch Proben zu einer anderen Aufführung besetzt ist. Schließlich – und dieser Brauch hat sich besonders in den letzten Jahren herausgebildet – lassen dort Dramatiker ihre neuen Stücke von lernbegierigen Anfängern aufführen und laden dazu Kritiker und Theaterdirektoren ein, wodurch diesen Gelegenheit gegeben wird, sich ein zutreffenderes Urteil über eine dramatische Arbeit zu bilden, die sie sonst nur durch Lesen kennen gelernt hätten.

In dem Probentheater wird täglich, außer Sonntag, von neun Uhr vormittags bis sechs Uhr abends gespielt. Der Zuschauerraum steht den Vorübergehenden jederzeit offen. Ein Eintrittsgeld wird nicht erhoben. Im Gegenteil: die Aufführungen werden stets einen Tag vorher durch Zettelanschlag am Eingang des Musentempels bekannt gegeben, damit sich auch genügend Publikum einfindet und die angehenden Künstler nicht gezwungen sind, vor leeren Bänken zu spielen. Jeder Besucher erhält dann außer einem Theaterzettel noch neun Penny, wird also für seine Geduld, mit der er die Leistungen der zukünftigen Bühnengrößen über sich ergehen läßt, regelrecht bezahlt. Dafür hat er dann allerdings auch die Pflicht, der Vorstellung bis zum Schluß beizuwohnen.

Daß die Besucher des Probentheaters sich zumeist aus den

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Walther Kabel: Ein Theater, in dem die Zuschauer bezahlt werden. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 7, S. 235–237. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_Theater,_in_dem_die_Zuschauer_bezahlt_werden.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)