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Walther Kabel: Ein Wiederfinden (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

er mit fieberumnebeltem Geiste diese wehen, ergreifenden Worte fand! Und sie selbst? Ist sie nicht doch klein gewesen dieser unendlichen Liebe gegenüber? Wäre es nicht trotz allem, was er ihr angetan, ihre Pflicht gewesen, zu verzeihen, den Mut zum Vergessen und Vergeben zu finden?

Und weiter sinnt und grübelt die einsame Frau. Sie denkt an jenen letzten Abend, als er von ihr ging, an seine beschwörenden Worte, seine ehrliche Beichte, durch die er sein Gewissen zu befreien und sie selbst zu versöhnen hoffte.

Doch was hilft das alles jetzt?! – Ihre Reue, ihre Einsicht sind zu spät gekommen, zu spät ihr in schneller Eingebung gefaßter Entschluß, ihn sich zurückzuerobern durch diese Fahrt in das unwirtliche Land, ein Entschluß, der trotz der geringen Aussicht auf Erfolg doch ihre Gedanken in ruhigere Bahnen führte und ihr ebenso willkommene Ablenkung brachte durch die Vorbereitungen zur Reise und die neuen Eindrücke unter der afrikanischen Sonne.

Und nach all den Monaten der Trennung dann heute dieses Wiederfinden! Einen dem Tode Verfallenen hat sie heute in ihre Arme genommen und das heißgeliebte, mit grauer Staubschicht bedeckte Gesicht geküßt in rasendem Schmerz.

Der Oberstabsarzt hat dabeigestanden und sie dann sachte beiseite geleitet. „Beruhigen Sie sich doch, wir werden ihn schon wieder zusammenflicken. Der Schuß in die Schulter hat ja nichts weiter zu bedeuten. Nur diese übergroße Erschöpfung – hm, ja – Aber nur Mut, kleines Frauchen – Mut!“

So hat er ihr zugesprochen. Aber sie merkte es doch heraus, daß es schlecht stand mit Horst Dittmers, sehr schlecht. Und eine innere Stimme, die sie vergeblich

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Walther Kabel: Ein Wiederfinden (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1910, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_Wiederfinden.pdf/20&oldid=- (Version vom 31.7.2018)