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Walther Kabel: Ein berüchtigtes Duell. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 12, S. 206–212

Treveso auf hinterlistige Weise veranlaßt zu haben. Der Richter Lanteste hatte nämlich festgestellt, daß die für den italienischen Edelmann so verhängnisvolle Bleikugel nicht aus der von dem Baron bei jenem Duell benützten Pistole abgefeuert sein konnte, vielmehr aus einer der damals gerade eingeführten verbesserten Steinschloßflinten mit sechzehneckigem Lauf, wie die Kanten an dem Geschoß noch deutlich zeigten. Ferner hatte, was Duchanelle ebenfalls aufgefallen war, der Schußkanal in der Brust des Herzogs eine so schräge Richtung, daß die Kugel unmöglich von vorne, sondern vielmehr von seitwärts eingedrungen sein mußte. Hieraus ließ sich aber nur der eine Schluß ziehen, daß bei dem Duell nicht Longreville selbst, sondern ein in der Nähe versteckter Meuchelmörder den tödlichen Schuß aus seiner Flinte abgegeben habe.

Die Kunde von dieser sensationellen Verhaftung verbreitete sich mit Blitzesschnelle durch ganz Paris. Als Ludwig XV. davon erfuhr, ließ er sofort den Richter Lanteste, der die Verhaftung befohlen hatte, zu sich rufen und verlangte von ihm die gegen den Baron sprechenden Verdachtsgründe zu hören. Lanteste trug das von ihm gesammelte Belastungsmaterial im Zusammenhange vor, wurde aber von Ludwig sehr ungnädig mit dem Befehl fortgeschickt, Longreville solle sofort wieder freigelassen werden.

Inzwischen aber hatten die Pariser alle jene Einzelheiten erfahren, die zu der Festnahme des Barons geführt hatten, und jedermann billigte aus vollem Herzen das energische Vorgehen des Richters, dessen Gerechtigkeitsgefühl selbst vor einem Günstling und Vertrauten des Herrschers nicht halt machte. Unter diesen Umständen mußte die Freilassung des unter so schwerem Verdacht Stehenden viel böses Blut erregen, zumal der König bei der Bevölkerung der Hauptstadt infolge seiner Verschwendungssucht und seines zügellosen Lebenswandels sehr wenig beliebt war. In den Straßen rotteten sich die Leute zusammen und erörterten mit wenig schmeichelhaften Ausdrücken diese neuesten Geschehnisse, aus denen nur zu klar hervorzugehen schien, daß Ludwig an der frevelhaften Duellkomödie irgendwie beteiligt sein mußte. Außerdem erinnerte man

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Walther Kabel: Ein berüchtigtes Duell. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 12, S. 206–212. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_ber%C3%BCchtigtes_Duell.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)