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Walther Kabel: Ein berühmter Meineid. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 12, S. 212–215

Bleich und zitternd stand Heuberle inmitten der ihn umdrängenden Menschen. Das Schuldbewußtsein war ihm jetzt so deutlich vom Gesicht abzulesen, daß einige der Leute ihn kurzerhand ergriffen und abermals vor den Richter führten, ohne jedoch zu ahnen, in welchem Zusammenhang das goldgefüllte Bambusrohr zu dem eben erledigten Rechtsstreit stehen könne.

Der Richter hatte kaum die merkwürdige Geschichte von dem mit Goldstücken gefüllten Stock vernommen, als ihm auch sofort klar wurde, aus welchem Grunde Heuberle vorhin dem armen Schneider vor der Eidesleistung das Rohr zum Halten gegeben hatte. Auf die strengen Vorhaltungen des Richters, hauptsächlich aber wohl, weil ihm so schnell keine glaubwürdige Erklärung für die Aufbewahrung der Goldstücke in dem Stocke einfiel, legte der in die Enge getriebene Wucherer ein volles Geständnis ab. Danach hatte der Schneidermeister seine Schuld wirklich längst bezahlt. Auf den Gedanken, die Summe nochmals einzuklagen, war Heuberle erst durch einen von Törning entlassenen Gesellen gebracht worden. Dieser, ein fauler, dem Trunke ergebener Mensch, hatte dann seinem Meister die Quittung aus Rachsucht entwendet und war damit zu dem Wucherer gekommen, worauf die beiden Ehrenmänner in dieser unsauberen Sache Halbpart zu machen beschlossen. Begünstigt wurde ihr Plan noch durch den Umstand, daß bei der Rückzahlung der Darlehnsschuld keine Zeugen zugegen gewesen waren. Heuberle gab dann auch weiter zu, daß er die dreihundert Taler in Gold nach der ersten Verhandlung nur deswegen in dem Stock untergebracht habe, um, nachdem er seinem Prozeßgegner das goldgefüllte Rohr in die Hand gespielt hatte, guten Gewissens beschwören zu können, der Schneider habe die dreihundert Taler noch, was ja auch insofern stimmte, als Törning mit dem Stock zugleich auch die dreihundert Taler in Gold Heuberles während der Eidesleistung in seinen Händen gehabt hatte.

Heuberle und der rachsüchtige Geselle kamen schon drei Wochen später vor das Kriminalgericht. Dieses verurteilte den Gesellen wegen des Diebstahls und der Teilnahme an einem

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Walther Kabel: Ein berühmter Meineid. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 12, S. 212–215. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_ber%C3%BChmter_Meineid.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)