Seite:Eine Bergfahrt in Süd-Tirol 33 03.jpg

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marschiren; dazu schüttelte wieder der Führer den Kopf und meinte, so weit würden wir auf keinen Fall in der Dunkelheit kommen, denn der Weg in der Schlucht sei zu schlecht. Wir hörten nun etwas von einem Unterkommen in Don munkeln, auf dem Wege nach San Romedio, und diesem Oertchen strebten wir denn ziemlich eilfertig zu und erreichten es durch Wasser und über Steine bei sinkender Nacht.

Die Herberge war freilich fragwürdigster Natur; wir traten in einen Kramladen („gemischte Waarenhandlung“, generi misti lautete die Firma) und ein altes Weib, das hier aus Rembrandt’schem Halbdunkel uns entgegentrat, gab uns die beruhigendsten Zusicherungen. Wer aber weiß, wie die Italiener jeden Schinderweg eine strada bellissima und ein vorsintfluthliches Gefährt, vor das zwei lendenlahme Gäule gespannt sind, una carrozza con due cavalli nennen, der trägt Bedenken, und mein Gefährte, der die Unterhaltung nicht verstand, meinte zweifelnd: „Was, in die Räuberhöhle soll’s gehen?“ Ich hatte denn auch gute Lust, den Marsch fortzusetzen, da aber der Führer in diesem Falle jede Verantwortung ablehnte und entschieden streitlustig dreinschaute, mußten wir wohl in den sauren Apfel beißen. Ich bin nun gerade nicht schreckhaft, als wir aber über eine steile Hühnersteige von Treppe in die stichdunkle Gaststube traten, in der verschiedene hemdärmlige Kerle herumlärmten und aus der man in eine rußige Küche sah, in der ähnliche Gestalten ohne Licht um das dürft'ge Herdfeuer hockten, da kam mir die Sache auch als für Damennerven ungeeignet vor. Nun, der Wirt machte uns zu Ehren Licht, und die unheimlichen Gestalten verzogen sich allmälig. Schien man auch keine Ahnung davon zu haben, daß zu einer Lampe nicht bloß ein Zylinder, sondern auch eine Glocke gehört, so kam uns doch das Zimmer nun bei Weitem behaglicher vor. Unsere Hoffnungen auf ein ordentliches Abendessen wurden dagegen rasch herabgestimmt; es gab im ganzen Orte kein Fleisch, wir konnten also nur in Wasser gekochten Reis haben, dem einige Scheiben Kohlrabi und ziemlich viel Selleriekraut als Würze beigemischt waren. Immerhin schwammen keine Fliegen darin, und da dies nach Lage der Dinge ein unverhoffter Trost war, so löffelten wir unsere große thönerne Schüssel geduldig aus. Die Komposition war auch garnicht so übel, mundete uns wenigstens besser, als die in der Herdasche gebackenen Kuchen aus Maismehl, die man uns ebenfalls anbot. Nach Obst forschten wir umsonst; ein Bote, welcher den ganzen Ort abgesucht hatte, kam endlich mit einigen Aepfeln niedrigsten Ranges zurück, denen der Wirth aus eigenen Mitteln ein paar Hände voll Haselnüsse hinzufügte. Betten mußten für uns erst aufgeschlagen werden; wir konnten auch kein gemeinsames Zimmer bekommen, was meinem Reisegefährten sehr wider den Strich ging - ein romantisches Gemüth konnte wohl auf den Verdacht kommen, daß man uns einzeln abzuthun beabsichtige. Nun, es genügte, diesen Gedanken auszusprechen, um uns heiter zu stimmen, und so folgten wir denn getrost, als man uns meldete, daß unsere Lagerstätten bereitet seien.

Meinem Alter oder meinem Italienisch verdankte ich den Vorzug, in einem Nebenzimmer zu schlafen, das augenscheinlich die „gute Stube“ darstellte; über der Thür hatte irgend ein Dorf-Raphael zwei Gestalten angebracht, von denen er die eine durch Markierung einer Büste als weiblich zu charakterisiren versucht hatte; beide hielten die Enden eines breiten rosa Bandes, auf dem geschrieben stand: „Evvivan i nostri amici!“ (Es leben unsere Freunde!") Mein Freund war höher untergebracht; ich verzichte jedoch darauf, die bauliche Konstruktion des Hauses klar zu machen. Die Thür besaß zwar ein Schloss, der Drücker desselben fehlte indessen, und auch ein Schlüssel oder ein Riegel war nicht vorhanden; in dieser Hinsicht genoss mein müdes Haupt wenigstens eines gewissen Trostes, denn ich fand einen Riegel vor, der sogar funktionirte. "Ich denke einen langen Schlaf zu thun, denn dieses Wandertages Qual war groß!" parodirte ich den Wallensteiner in der Mordnacht von Eger, aber ich hatte mich kaum ausgestreckt, als mir mit Schaudern klar ward, daß es für mich unter diesem Dache keinen Schlummer gebe. Wer hieß mich aber auch vergessen, daß, so weit die welsche Zunge klingt, die kleinen braunen Springer die Herren der Situation sind und nur vor einem großen Aufwand von Insektenpulver widerstrebend das Feld räumen? Ich stand auf und machte Licht. Die Beleuchtung meiner Lagerstatt zeigte mir ein so reges Leben, daß ich darauf verzichtete, den Kampf mit diesen blutgierigen Insekten aufzunehmen. Am Tische sitzend, den Arm als Kopfkissen benutzend, habe ich in den Kleidern mit Pausen geschlafen, bis der Oktobermorgen durch die vorhanglosen Fenster graute, und als ich den Hemdärmel aufstreifte, fand ich den Arm so schön punktirt, daß ich einer Forelle etwas zu rathen hätte aufgeben können. Die schöne Punktirung war übrigens mit größter Unparteilichkeit über den ganzen Körper vertheilt und nicht ohne Neugierde suchte ich meinen Freund in seiner unverschließbaren Kammer auf. Ihm hatten günstigere Sterne geleuchtet; sobald er bemerkte, wie man sich mit vereinten Kräften bemühte, ihm einen Aderlass zu bereiten, war er aus dem Bette gesprungen, hatte seinen langhaarigen Kapuziner-Wettermantel aus Kameelhaar angezogen und sich in diesem, wie ein Schmetterling in seinem Puppengehäuse, zusammengedrückt. In dieser Hülle hatten ihm die blutgierigen Angreifer absolut nichts anhaben können, und so hatte er fest und sanft geschlafen und nicht einmal von einem bärtigen Kerl geträumt, der sich, das Messer in der Faust, über ihn beugte und ihm die Gurgel zu durchschneiden suchte.

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Rudolf Lavant: Eine Bergfahrt in Süd-Tirol. Goldhausen, Leipzig 1900, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eine_Bergfahrt_in_S%C3%BCd-Tirol_33_03.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)