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für mich von daheim finden sollte. – Die ersten wieder seit langer, langer Zeit, denn die letzten Briefe, die ich vor sechs Monaten in Batavia erhalten, waren noch außerdem über sechs Monate alt gewesen.

Der Chef war nicht zu Haus, aber ein junger Mann vom Geschäft, dem ich meinen Namen nannte, sagte: „er glaube, daß ein Brief für mich oben liegen müsse,“ und wie entsetzlich langsam ging er die Treppe hinauf, danach zu suchen. – Endlich waren wir oben – zwei, drei Gefache suchte er durch – da war er richtig – ich hielt ihn fest in der Hand und weiß wahrhaftig nicht wie ich wieder aus dem Haus und durch die Stadt in mein Hotel gekommen bin; aber ich sah die Leute nicht mehr, die vor den Häusern standen, oder an ihren hellerleuchteten Tischen saßen. So rasch mich meine Füße trugen, eilte ich in den Lindenhof, ließ mir ein Zimmer geben, bestellte Licht und Thee und saß kaum zehn Minuten später am geöffneten Fenster vor den lieben, lieben Zeilen, die mir Kunde von den Meinen brachten. – Dann erst gab ich mich den übrigen Genüssen hin, und wer nicht selber einmal so lang von daheim fort und besonders so viele Wochen, ja Monate hintereinander auf See gewesen, wird schwer begreifen können, mit welch behaglichem Gefühl den seemüden Wanderer alle jene tausend Kleinigkeiten erfüllen, die wir im gewöhnlichen Leben gar nicht mehr beachten, und deren Dasein wir oft nur bemerken. wenn sie einmal fehlen.

Erstlich die Annehmlichkeit von frischem Fleisch, frischer Butter, Milch und Eiern – dann das Bewußtsein, daß das Theezeug fest auf dem Tisch stand, und nicht brauchte in hölzerne Gestelle eingestemmt zu werden – und doch war ich mit meiner Tasse noch im Anfang außerordentlich vorsichtig. Dazu das Geräusch rollender Wagen auf dem Pflaster unten, das Schlagen der großen Thurmuhren, das ich in einer Ewigkeit nicht gehört, das Lachen und Plaudern der Menschen unten auf dem großen freien Platz, und kein Schaukeln dabei, kein Hin- und Wiederwerfen – Alles das genoß ich einzeln und mit vollem geizenden Bewußtsein dieser wenigen Momente, und wenn es mir auch im Anfang noch manchmal so vorkommen wollte, als ob der Lehnstuhl auf dem ich saß leise hin und herschwankte, – das alte Gefühl noch von dem Schiffe her – überzeugte ich mich doch bald, daß das nur Täuschung sei.

Indessen war es dunkel und still draußen in der Stadt geworden; wieder und wieder hatte ich den Brief gelesen, und lag jetzt in meinem Stuhl am offenen Fenster eine ganze Welt von Seligkeit im Herzen.

Unten wurden murmelnde Menschenstimmen laut – ich hatte sie schon eine Weile wie im Traum gehört, aber nicht darauf geachtet; auch ein paar Laternen sah ich über den Platz kommen. Da plötzlich klangen von vier kräftigen Männerstimmen die Töne des herrlichen Mendelssohn’schen Liedes:

Wer hat dich, du schöner Wald,
Aufgestellt so hoch da droben …“

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Friedrich Gerstäcker: Eine Heimkehr aus der weiten Welt. Ernst Keil, Leipzig 1860, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eine_Heimkehr_aus_der_weiten_Welt-Gerstaecker-1860.djvu/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)