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Eine Herbst-Fahrt in den „Rosengarten“.
Von Rudolf Lavant.

Hat der geneigte Leser eine Ahnung davon, was ein „Hüttenwart“ ist? Wir kommen um die Beantwortung dieser Frage nicht herum, denn hätte der Schreiber dieser Zeilen nicht im letzten Herbst einen mit dieser Eigenschaft behafteten Herrn in Bozen kennen gelernt, so ist es mehr als fraglich, ob er die Tour, die er zu beschreiben hat, gemacht haben würde. Dergleichen wird von Niemandem zum Vergnügen, sondern höchstens aus Pflichtgefühl geplant und findet dann allerdings auch unternehmende Mitläufer, wenigstens zuweilen.

Der große deutsche und österreichische Alpenverein, der wohl in jeder größeren Stadt Deutschlands und Oesterreichs eine Sektion besitzt, hat eine seiner Hauptaufgaben darin erblickt, in den unwirthlichen Regionen des Hochgebirges bis zu 3000 Meter Meereshöhe hinauf Schutzhäuser zu errichten, welche die Besteigung der Hochgipfel wesentlich erleichtern, das böse Bivouakiren überflüssig machen, dem Wanderer im Hochgebirge bei eintretendem Unwetter einen behaglichen Unterschlupf gewähren und ihn vor jeder Ausbeutung seiner Nothlage durch habgierige Wirthe schützen. So billig wie die Vereine könnte es aber auch der humanste und bescheidenste Wirth nicht machen, ohne in kurzer Zeit bankerott zu werden. Der – sehr mäßige – Preis für Grund und Boden, der – meist sehr hohe – Betrag der Baukosten – die gesammte Ausstattung mit Mobiliar, Kücheneinrichtung usw. – die Kosten für Anlegung und Erhaltung bequemerer Zugangswege zur Hütte – die mitunter sehr erheblichen Reparaturen – Alles bleibt vollständig außer Ansatz, d. h. der Gesammtbetrag wird à fonds perdu hingegeben und die Sektionen sind meist schon zufrieden, wenn die Hütten keine fortlaufenden Zuschüsse erfordern und der Regieaufwand durch die erhobenen Schlafgelder gedeckt wird. Diese Schlafgelder aber sind sehr niedrig; ein gutes Matratzenlager im allgemeinen Schlafraum kostet für Mitglieder alpiner Vereine 30 Kreuzer, für andere Menschenkinder 60 Kreuzer, ein Betrag, der auch drunten in den Thälern trotz der bekannten tiroler Billigkeit nicht reichen würde, obgleich man dort meist weder so sauber, noch so bequem untergebracht ist. Wollte ein Wirth in diesen Höhen ein Unterkunftshaus bauen, so müßte er, weil er doch zunächst sein Kapital zu verzinsen hätte, ganz andere Preise verlangen und er müßte das umsomehr thun, als die Saison nur drei Monate dauert. Vor Mitte Juni schmilzt der Schnee nicht weg und im September hat man bereits wieder mit Schneestürmen zu rechnen; so oft es im Thale regnet, schneit es in den Höhen und weicher, hoher Neuschnee hält die Besucher in den Thälern zurück und setzt den Wirth auf’s Trockene. Hätte der Alpenverein nicht eingegriffen, so würden in diesen Höhen entweder keine Schutzhäuser existiren oder es würde sehr theuer in ihnen sein und man müßte schon „sehr warm angezogen“ sein, um überhaupt Hochtouren in den Alpen unternehmen zu können.

Die meisten Hütten sind neuerdings im Sommer bewirthschaftet, d. h. die Sektion überläßt einem soliden Thalwirth die Bewirthschaftung ohne jede Entschädigung seinerseits, schreibt ihm aber dafür die Preise für Speisen und Getränke vor und hängt in der Hütte den betreffenden Tarif aus, so daß der Tourist gegen jede Uebervortheilung geschützt ist. Während der übrigen Zeit des Jahres sind die Hütten aber ebenfalls zugänglich, d. h. der Schlüssel ist durch die Führer oder den nächsten Wirth erhältlich und man findet in der Hütte Wein, Konserven, Suppentafeln, trockene Gemüse usw. Man macht dann eben seinen eigenen Koch und wirft den Betrag für’s Uebernachten und für das Entnommene mit einer kurzen Bleistiftnotiz in eine an der Wand angebrachte eiserne Kassette, zu der nur der Hüttenwart den Schlüssel hat. Befindet man sich in Begleitung eines Führers, so besorgt dieser das Kochen und hat früh das Aufwaschen, das Ordnen der Lagerstätten, das Ausfegen usw. zu besorgen, wofür er umsonst übernachtet. Hierbei muß sich natürlich die Sektion, namentlich in den überhaupt nicht bewirthschafteten Hütten, ganz und gar auf die Ehrlichkeit der Besucher verlassen, denn es ist ja keinerlei Kontrole möglich, es haben sich aber auch noch nie Uebelstände herausgestellt, eher wird bei Mangel an passendem Kleingeld etwas mehr als zu wenig bezahlt. Der Tourist, der in diese unwirthlichen Gegenden heraufgestiegen ist, lernt inmitten der übergewaltigen Natur den Werth dieser gastlichen Schutzhäuser von Herzen schätzen und er müßte wohl ein Lump in Folio sein, um zum Dank für die genossene Gastfreundschaft der betreffenden Sektion auch noch wissentlich einen Schaden zuzufügen.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Eine Herbst-Fahrt in den „Rosengarten“. Goldhausen, Leipzig 1899, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eine_Herbstfahrt_in_den_Rosengarten_36_01.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)