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Walther Kabel: Eine unheimliche Gemäldesammlung. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 9, S. 230–232

es, als der berüchtigte Wohlfahrtsausschuß eines Tages den Befehl gab, auch die Königsgräber des Geschlechtes der Orleans in der Jesuitenkirche in Paris zu zerstören, damit auch diese Erinnerung an das einst monarchisch regierte Frankreich von der Erde fortgefegt werde. Unter den Leuten, die diesen Auftrag vollzogen, befand sich ein junger Maler, Hektor Olivier, ein begeisterter Republikaner. Als die Urnen mit den einbalsamierten Herzen einstiger französischer Herrscher unter den Kolbenschlägen der Revolutionssoldaten in Trümmer gingen und die verschrumpften, steinhart gewordenen Herzen auf die Fliesen des Grabgewölbes herabrollten, kam dem jungen Maler ein schauerlicher Gedanke. Auf seinen Befehl sammelte man alle die mumifizierten Herzen, die einst unter königlichem Purpur geschlagen hatten, zusammen und warf sie in einen Sack. Es waren nicht weniger als sechzehn, wie der französische Geschichtschreiber Lambert berichtet, und diese sechzehn Herzen nahm Hektor Olivier mit in seine Wohnung, um sie dort zu einem sonderbaren Zwecke zu benützen.

Bekanntlich gebrauchte man schon in alter Zeit die Reste einbalsamierter Körper nicht nur als Heilmittel, sondern verarbeitete sie auch zu einer braunen Farbe, die ihres besonderen Tones wegen sehr begehrt war und die Bezeichnung „Mumie“ führte. Olivier, als Maler mit der Herstellung von Farben gut bewandert, stellte nun aus den Königsherzen ebenfalls „Mumie“ her und malte damit sieben Bilder, Schreckensszenen aus der französischen Revolution darstellend, die sämtlich denselben dunkelbraunen Ton besaßen. Diese Gemälde erregten, als sie im Winter 1799 in Paris ausgestellt wurden, allseitig Bewunderung. Die Angabe des Malers, daß sie in ihrer Farbe die Herzen der Orleans enthielten, wurde jedoch mehr als eine geschickte Reklame denn als Wahrheit hingenommen. Und doch war es Tatsache.

Olivier starb kurz darauf. Er wurde wahnsinnig. Sein Geist hatte den steten Aufregungen der wechselreichen Revolutionszeit nicht standhalten können. „Vielleicht war es auch etwas anderes, das diesem jugendlichen Feuerkopf die Gedanken verwirrte,“ schreibt der erwähnte Chronist Lambert.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Eine unheimliche Gemäldesammlung. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 9, S. 230–232. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eine_unheimliche_Gem%C3%A4ldesammlung.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)