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Walther Kabel: Erbschaftsprozesse gegen Tiere. In: Das Buch für Alle, 47. Jahrgang, Heft 13, S. 296–297

Erbschaftsprozesse gegen Tiere. – Im Jahre 1824 verstarb auf ihrem Landsitz in der Nähe von London Lady Surlett, deren Hinterlassenschaft mehrere Millionen betrug. Da sie keine direkten Leibeserben hatte, freute sich eine ganze Anzahl entfernter Verwandter auf die lohnende Erbschaft. Doch alle wurden sie bitter enttäuscht. Die alte Dame hatte in ihrem Testament ihre vier Katzen und ihren Papagei zu Erben dergestalt eingesetzt, daß die Familie ihrer Dienerin Mabel Wexton den Zinsgenuß des Vermögens haben solle, wofür die Wextons die Tiere aufs beste zu pflegen hätten. Erst nach dem Tode des letzten ihrer Lieblinge solle die Hinterlassenschaft zur Hälfte an die Erben, zur Hälfte an den eben gegründeten Londoner Tierschutzverein fallen, dessen eifriges Mitglied die Verstorbene gewesen war.

Dieses Testament fochten die Verwandten an. Der Prozeß endete damit, daß die letztwillige Verfügung der Lady Surlett als gültig anerkannt wurde, da nicht die Tiere selbst als Nießbrauchnehmer an dem Vermögen anzusehen seien, sondern die Familie Wexton. Ganz London hatte den merkwürdigen Prozeß mit Eifer verfolgt. Aber die durch das Testament entstandene Erregung der Gemüter war mit dieser Entscheidung des obersten englischen Gerichtshofes noch lange nicht beendet.

Ein halbes Jahr nach Beendigung des sensationellen Rechtsstreites starben nämlich kurz hintereinander die vier Katzen, und zwar, wie durch eine Untersuchung festgestellt wurde, infolge von Gift, das ihnen von unbekannter Hand gereicht worden war. Nun klagte der Testamentsvollstrecker der Lady, ein Anwalt namens Harrison, darauf, daß die Verwandten der Erblasserin, die die Katzen hätten vergiften lassen, für erbunwürdig erklärt werden sollten, da sie durch ihre Handlungsweise sich schwer gegen Lady Surlett vergangen hätten. Doch Harrison war es unmöglich, für seine Behauptung Beweise beizubringen. Die Klage wurde abgewiesen.

Damit war den Erben aber gar nichts geholfen, wenigstens vorläufig nicht. Denn noch immer lebte ja der Papagei, der, wie dies bei den Vögeln dieser Gattung häufig vorkommt, gut hundert Jahre alt werden konnte. Und der grüne Kakadu überlebte auch wirklich die Mehrzahl der Erbberechtigten, die von Tag zu Tag auf seinen Tod gewartet hatten. Erst im Jahre 1871 starb er zur Trauer der Nachkommen der Familie Wexton, die jedoch inzwischen durch die Zinsen des Vermögens allein schon zu reichen Leuten geworden waren. Dann erst fiel die eine Hälfte der Millionen an die Verwandtschaft Lady Surletts, die andere an den Londoner Tierschutzverein, der von dem Gelde ein noch heute bestehendes großes Tierasyl erbauen ließ. –

Viel besprochen wurde seinerzeit auch das Testament des Tierbändigers Leonhard, der mit seinen dressierten Löwen in

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Walther Kabel: Erbschaftsprozesse gegen Tiere. In: Das Buch für Alle, 47. Jahrgang, Heft 13, S. 296–297. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1912, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erbschaftsprozesse_gegen_Tiere_(Heft_13,_296-297).pdf/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)