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begegnet, die weder Zeit noch Kraft hat, sich in Leid und Leben des anderen einzudenken, einzuleben und einzuleiden. Und es tut nicht gut, wenn man mit Voraussetzungen an den Menschen herantritt, die man bei sich selbst ablehnt. „Redet mit Jerusalem freundlich!“ Das muß der Grundzug der werbenden, aufschließenden Bemühung sein, die das Menschenherz wieder in Beziehungen zu dem setzen will, der es zu sich hin geschaffen hat. Das einfachste Wort, wie es die Stunde gibt, der schlichteste Ton, wie er in und von ihr geprägt wird, wirkt am meisten. Von den äußeren Vorgängen, den jüngsten Erlebnissen, von Heimatsgedanken geht die Rede und der Segen aus. Ich habe es mir immer vorgenommen, selbst auf die Gefahr hin, Ungereimtes und Ungeeignetes einmal hören zu müssen, ganz aus dem Natürlichen und seiner Umwelt mich an die Leute zu wenden. „Nicht das Wort tut es, sondern sein Ton.“ Der schlichten Erinnerung an die alte Dorfkirche in der fränkischen Heimat, an die moosbewachsenen, eingesunkenen Grabhügel, unter denen Vater und Mutter schlafen, an den Kirchenweg hinter den Hecken, an den Kirchhofpfad hinter den Wiesen, an die Menge der kleinen Denkzeichen, die das Kind des Dorfes mit in seine Welt hineinnimmt, verschließt sich selten das Herz, wie denn die in ungewußter und ungewollter Verschönerung auch die Tage einer schweren Jugend verklärt. An diese einfachste Zusprache rein menschlicher Art kann dann die religiöse besser anknüpfen: der Einsegnungsspruch vom Konfirmationstag, der Hochzeitstext bei den Landwehrleuten, die Aufschrift über dem Kirchtor leitet dann zu den größten Fragen über: „wie töricht ist es, nur mit einem goldnen Schlüssel öffnen zu wollen, wo doch der eiserne paßt,“ sagt ein alter Vater (Heinrich Müller). Und Balthasar Schuppius, der im Oktober 1648 die Friedenspredigt über den 126. Psalm gehalten hat, weist darauf hin: sapiamus

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Hermann von Bezzel: Erinnerungen aus Berufsreisen an die Front. Krüger & Co., Leipzig 1917, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erinnerungen_aus_Berufsreisen_an_die_Front_31.png&oldid=- (Version vom 19.7.2016)