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Walther Kabel: Fürsten als Ehestifter. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 11, S. 203–206

Neros Vertrauter war ein orientalischer Possenmacher, ein Zwerg. Eines Tages wurde aus einer kleinen römischen Stadt mit einem Transport gefangener Christen eine Frau eingeliefert, die alle anderen Menschen um gut zwei Köpfe überragte. Diese Frau zwang der Kaiser, seinen Hofnarren, der ihr kaum bis an die Hüften reichte, zu heiraten.

Ebenso hatte er seine größte Freude daran, Personen zur Eheschließung zu bewegen, von denen er wußte, daß sie sich bitter haßten. Dabei wachte er persönlich sehr genau darüber, daß diese Ehepaare auch wirklich einen gemeinsamen Hausstand führten.

Vor Ludwig XIV. von Frankreich trat, als er eben zur Regierung gekommen war, bei einem großen Gartenfest auch eine aus dreißig Köpfen bestehende spanische Zwergentruppe auf, die sein höchstes Interesse erregte. Einige Tage nach dem Fest fragte er seinen Leibarzt, ob es nicht möglich sei, durch stete Verheiratung der kleinsten Personen aus jener Zwergengruppe und weitere Verheiratung von deren Kindern untereinander ein Geschlecht ganz winziger Menschen zu schaffen. Der Leibarzt erwiderte, man könne jedenfalls den Versuch machen, auf diese Weise menschliche Geschöpfe von nie dagewesener Kleinheit zu züchten. Begeistert nahm sich Ludwig sofort dieses eigenartigen Problems an. Er suchte selbst aus der Zwergengesellschaft drei ihm geeignet erscheinende Paare heraus und bewog sie durch bedeutende Geldgeschenke zur Eheschließung und zur Niederlassung in einer seiner Besitzungen dicht bei Paris, wo sie, aller weiteren Sorgen enthoben, ein paradiesisches Dasein führten.

Zu Ludwigs Enttäuschung zeigte es sich jedoch, daß ihre Nachkommen den gehegten Erwartungen nicht entsprachen: sie waren zumeist größer als ihre Eltern.

Nach diesem Mißerfolg wandte sich Ludwig einem anderen Problem zu: er suchte ein Geschlecht hervorragend schöner Menschen zu schaffen. Damen und Herren sowohl der französischen Aristokratie wie der bürgerlichen Stände, die wohlgebaute Gestalten und entsprechend edelgeformte Gesichter besaßen, legte er es nahe, einander zu ehelichen.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Fürsten als Ehestifter. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 11, S. 203–206. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:F%C3%BCrsten_als_Ehestifter.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)