Eines der wichtigsten Beweismittel für die Feststellung der Ursprünglickeit des Zuges ist dessen Natürlichkeit. Das Natürliche ist neben dem Unnatürlichen als ursprünglich zu betrachten. Dieses Argument scheint vielleicht auf den ersten Blick zweifelhaft, denn man muss zugeben, dass es an sich etwas Subjektives enthält. Der eine kann das eine natürlicher finden als der andere. In unsicheren Fällen, wenn nicht andere in dieselbe Richtung deutende Umstände erscheinen, ist es auch am besten die Entscheidung zu unterlassen. Dennoch entwickeln die Erfahrung und das gründliche Bekanntwerden mit dem inneren Leben der Volkspoesie in grossem Masse das Urteilsvermögen des Forschers in dieser Beziehung und beschränken die eventuelle Subjektivität.
Wenn z. B. im Märchen von den Tieren im Nachtquartier die Katze ganz allgemein auf die Feuerstelle (den Herd) gesetzt wird, von wo aus sie dem in die Stube Eindringenden das Gesicht zerkratzt, und der Hahn auf den Balken, um zu krähen, ist es unzweifelhaft, dass die Tiere schon in der Urform des Märchens gerade diese für sie so natürlichen Aufenthaltsorte gehabt haben. Die Natürlichkeit entscheidet auch die Frage, ob der in den nordischen Varianten vorkommende Bär oder der hauptsächlich in den südlicheren Gegenden anzutreffende Wolf in der Geschichte vom Fischen mit dem Schwanze ursprünglich ist. Der Zweck der Geschichte ist ursprünglich offenbar die Erklärung der Kurzschwänzigkeit irgendeines Tieres gewesen, und der langgeschwänzte Wolf erscheint in diesem Falle nicht passend. Die Ursprünglichkeit des Bären bekräftigen einige andere Umstände. So hat die Unnatürlichkeit des Wolfes zuweilen verleitet zu erklären, dass man für ihn aus Eisen oder Hanf einen neuen Schwanz beschafft hat, oder dass der Schwanz nicht ganz abbricht, sondern abgenagt wird.
Neben der Natürlichkeit des ursprünglichen Zuges kommt dem Forscher bei der
Antti Aarne: Leitfaden der vergleichenden Märchenforschung. Suomalaisen Tiedeakatemian Kustantama, Hamina 1913, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FFC13.djvu/49&oldid=- (Version vom 31.7.2018)