Seite:Faust II (Goethe) 212.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Thurmwächter, Lynceus.

     Laß mich knieen, laß mich schauen,
     Laß mich sterben, laß mich leben,

9220
     Denn schon bin ich hingegeben

     Dieser gottgegebnen Frauen.

     Harrend auf des Morgens Wonne,
     Oestlich spähend ihren Lauf,
     Ging auf einmal mir die Sonne

9225
     Wunderbar im Süden auf.


     Zog den Blick nach jener Seite,
     Statt der Schluchten, statt der Höhn,
     Statt der Erd- und Himmelsweite,
     Sie die Einzige zu spähn.

9230
     Augenstrahl ist mir verliehen

     Wie dem Luchs auf höchstem Baum;
     Doch nun mußt’ ich mich bemühen
     Wie aus tiefem düsterm Traum.

     Wüßt’ ich irgend mich zu finden?

9235
     Zinne? Thurm? geschloss’nes Thor?

     Nebel schwanken, Nebel schwinden,
     Solche Göttin tritt hervor!

     Aug’ und Brust ihr zugewendet
     Sog ich an den milden Glanz,

9240
     Diese Schönheit, wie sie blendet,
     Blendete mich Armen ganz.
Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Faust - Der Tragödie zweiter Teil. Tübingen 1832, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Faust_II_(Goethe)_212.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)