Seite:Felix Dahn - Das Weib im altgermanischen Recht und Leben - 03.png

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(von munt, manus, Hand: mit dem Munde hat die Muntschaft nichts zu thun: hierin besteht kein Bedürfniß der Unterstützung für das Geschlecht, das hierin schwerlich das schwächere) war keineswegs nur ein einseitiges Recht, sie legte vielmehr auch sehr schwere Pflichten auf: Schutz und Vertretung vor Gericht, Unterhalt und Anderes.

 Auch in dem geringeren Wergeld (Buße für Tödtung) der Frau liegt nicht eine Zurücksetzung: nur der Ausdruck der unleugbaren Thatsache, daß in jenen Tagen der gewaffneten Selbsthilfe die Spindel wirklich weniger werth war für die Sippe (Familie) als der Speer: daher haben auch Männer, welche nicht waffenfähig, ein geringeres Wergeld als waffenfähige: daher hat das Weib während der Zeit der Gebärfähigkeit ein höheres Wergeld als vor und nach dieser Zeit. Ist dies noch die Auffassung einer roheren Zeit, so drückt sich bei anderen Völkerschaften eine sehr ideale Denkart darin aus, daß das Weib, unerachtet seines geringeren Brauchwerths für die Sippe, sogar ein höheres Wergeld als der Mann erhält: der fehlende Selbstschutz soll durch die erhöhte Abschreckung (d. h. Buße) ersetzt werden.

 Aber auch die Beschränkung der Frauen in der Erbnahme von Grundstücken war durchaus nicht als Zurücksetzung gedacht: vielmehr folgte sie aus dem Bedürfniß, den Grundbesitz, auf welchem nicht nur der Wohlstand, auch die Rechtstellung in Gemeinde und Staat beruhte, dem Mannstamm der Sippe zu erhalten: übrigens ist sehr zweifelhaft, wie alt und wie weit verbreitet solche Beschränkung war; jedenfalls trat sie erst ein, nachdem seit mehreren Generationen der Uebergang zu seßhaftem Ackerbau vollzogen war: ferner war das Vorrecht des Mannstammes auf das bei der ursprünglichen Ansiedlung von Staat oder Gemeinde dem Sippe-Haupt zugetheilte Gut, das „Erbgut,“ beschränkt: anderweitig erworbene Grundstücke vererbten auch auf die Frauen: endlich waren nach manchen Rechten die „Spindeln“ nicht völlig ausgeschlossen durch die „Speere“[1], sondern nur durch die Männer der gleichen Gradnähe der Verwandtschaft, so daß z. B. die Schwester hinter dem Bruder des Erblassers zwar zurückstand, aber dessen Vetter oder Neffen vorging. Daß Zurücksetzung der Frau als solcher ganz fern lag, erhellt daraus, daß bei manchen Völkern das Recht, bei anderen wenigstens die Sitte auch die nachgeborenen Söhnen ausschloß, nur den Erstgeborenen in das Erbgut folgen ließ. Nur die Männer vermochten ja auch den Grundbesitz mit den Waffen zu vertreten: und die Frauen hatten selbst ein Interesse daran, das Erbgut in der Sippe erhalten zu sehen, da die verheiratheten ihr ehelicher, die unverheiratheten der Geschlechts-Muntwalt aus den Früchten des Guts zu ernähren verpflichtet war. Seitdem die Pflichten der Sippe, zumal der Waffenschutz, von geringerer Bedeutung wurden, ist auch die Geschlechtsmuntschaft und die Zurückstellung im Erbgang des Grundeigens abgeschwächt, zuletzt völlig aufgehoben worden. Nur im Recht des Adels und zum Theil des Bauernstandes, deren Gedeihen noch immer auf der Erhaltung unzersplitterten Grundeigenthums beruht, hat sich der Vorzug des Mannstamms bis auf heut erhalten.


  1. WS: Druckfehler korrigiert: Spere → Speere
Empfohlene Zitierweise:
Felix Dahn: Das Weib im altgermanischen Recht und Leben. Verlag des Deutschen Vereines zur Verbreitung gemeinnütziger Kentnisse in Prag, Prag 1881, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Felix_Dahn_-_Das_Weib_im_altgermanischen_Recht_und_Leben_-_03.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)