Seite:Felix Dahn - Das Weib im altgermanischen Recht und Leben - 14.png

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 Dieser hohen Werthhaltung der Ehre ihrer Frauen entsprechend glaubte man die Germanen zur Einhaltung von Verträgen am wirksamsten anzuhalten, wenn man sich edle Jungfrauen als Geiseln von ihnen geben ließ; diese vor Schmach zu wahren, enthielten sie sich sorgsam jeder Verletzung der vertragsmäßigen Verpflichtungen.

 Aber um die Vorstellungen der Germanen von ihren Frauen und Mädchen zu erschöpfen, dürfen wir uns nicht blos in ihren irdischen Gehöften umsehen: wir müssen den Blick emporheben nach Walhall: denn wie alle Völker haben auch die Germanen ihre Götter und Göttinnen nach ihrem eigenen Bilde geschaffen; und wie Odhin und Thor und Baldur und Freir nur idealisirte germanische Männer und Jünglinge, so sind auch Frigg, Freia, Nanna, Gerdha, Sigün germanische Jungfrauen und Frauen, nur wenig idealisirt. Welche Fülle von Schönheit, Anmuth, Hoheit, Reine, Treue, Seelenkraft und Herzenstiefe ist aber in jenen Gestalten vereinigt. Und Sage und Geschichte belegen diese Luftspiegelung des Weibes mit zahlreichen Beispielen menschlicher Bethätigung. Wie folgerichtig ist es, daß, da das Weib die Zukunft, das nahende Schicksal ahnungsvoller als der Mann erfaßt, die da das Schicksal weben und wirken, nicht Männer sind, sondern die ehrwürdigen Nornen (Schicksalsschwestern). Und jene Tapferkeit der germanischen Jungfrau, welche die Waffen nicht fürchtete und oft mit dem Geliebten in Kampf und Tod ging, findet ebenfalls ihren Ausdruck in Walhall: nicht Männer, nicht Herolde sind es, sondern herrliche Mädchen, die Schildjungfrauen Odhins, welche die „Walküren“, d. h. die zum Tode bestimmten Helden bezeichnen, und wenn sie gefallen empor tragen zu Walhalls ewigen Freuden, welche sie, Odhins Wunschmädchen, mit dem Einheriar (Held in Walhall: wörtlich „Schreckenskämpfer“) theilen. Höhere Verherrlichung des Weiblichen war germanischer Phantasie nicht denkbar.

 Gegenüber einer sehr wenig erfreulichen Behandlung des Weibes in der modernsten deutschen Literatur möge der Wunsch verstattet sein, daß die altgermanische Würdigung des Weibes unserem Volke nicht verloren gehe: denn diese bildet – so schließen wir, wie wir begonnen – einen Maßstab für den Charakter des Volkes und die Höhe, zumal aber für die Gesundheit seiner Kultur.

Empfohlene Zitierweise:
Felix Dahn: Das Weib im altgermanischen Recht und Leben. Verlag des Deutschen Vereines zur Verbreitung gemeinnütziger Kentnisse in Prag, Prag 1881, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Felix_Dahn_-_Das_Weib_im_altgermanischen_Recht_und_Leben_-_14.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)