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Begebenheiten beteiligten Personen als selbsthandelnd auftreten läßt. Auch diese Seite der Dichtung ist nicht viel kultiviert worden, doch gehört Hiob und das Hohelied in gewissem Sinn hieher. Am meisten ausgebildet wurde die lyrische Poesie. Sie drückt die Gefühle, Betrachtungen und Entschlüsse aus, welche Erfahrungen und Erlebnisse im menschlichen Herzen erwecken. Sie ist es, welche in Israel gedieh und zwar herrlicher gedieh, als sonst überall, aber nur im Dienste des religiösen Lebens. Sie zerfällt, näher angesehen, in das Lied (Schir) und in die Spruchdichtung (Maschal).[1] Zu jenem gehören der Psalter und die Klagelieder Jeremias; zu dieser die Sprüche und der Prediger.

 2. Die Form der hebräischen Poesie ist der Parallelismus der Glieder, indem sich der Vers in mehrere sich entsprechende Glieder zerlegt, welche einander so gegenüber treten, daß in dem einen die Rede sich hebt, in dem andern sich senkt (Rhythmus). Das Verhältnis der parallelen (einander entsprechenden) Glieder zu einander kann in Bezug auf den Inhalt entweder in der Ähnlichkeit und Gleichheit der Gedanken, oder im Gegensätze, oder in fortschreitender Gedankenverbindung bestehen (synonymer, anthithetischer und synthetischer Parallelismus). Aber es ist zu bemerken, daß die Gliederung des Verses zuweilen gar keinen logischen, sondern bloß rhythmischen Grund hat, und daß überhaupt nicht das logische Bedürfnis den Rhythmus, sondern umgekehrt das rhythmische Bedürfnis die logische Entfaltung des Gedankens erzeugte.

 Beispiele. Der synonyme Parallelismus: Ps. 8, 5; der antithetische: Ps. 20, 9; der synthetische: Ps. 19, 8.

 Der Vers verlangt wenigstens zwei sich entsprechende Glieder, die durch den Parallelismus zur Einheit verknüpft sein müssen, und das Distichon ist im allgemeinen als Grundform des hebräischen Verses anzusehen. (Vgl. z. B. Ps. 119. Die Spruchdichtung überhaupt ist distichisch.)

 Anmerkung. Es gibt auch mehrgliedrige Verse: 1. dreigliedrige, und zwar: a) mit 3 synonymen (Ps. 7, 6) oder 3 synthetischen (Ps. 31, 19) Gliedern; b) mit 2 synonymen oder antithetischen Gliedern, welche dem dritten gegenüberstehen, z. B. Ps. 2, 2; 4, 5; 2. viergliedrige, und zwar a) mit 4 synonymen oder synthetischen Gliedern, z. B. Ps. 5, 10; 17, 1; 32, 6 oder


  1. Die letztere dürfte wohl besser als besondere Dichtungsgattung bezeichnet werden (didaktische).