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neue Impulse gab. Aber seine Richtung drang nicht durch. – Bald wurde eine Behandlung der h. Schrift allgemein, welche sich selbst die kritische nennt, und deren Eigentümlichkeit darin besteht, daß sie die h. Schrift wie jedes andere menschliche Buch behandelt und von vornherein gegen alles Überlieferte eingenommen ist. Der Vater dieser Kritik wurde Joh. Salomo Semler. Ihm gegenüber bewahrte sich Herder (Briefe über das Studium der Theologie 1780) wenigstens einen erschlossenen Sinn für die religiöse Tiefe und unvergleichliche Großartigkeit der h. Schriften. In Semlers Sinn arbeitete Joh. David Michaelis († 1791), in Herders Sinn aber Joh. Gottfried Eichhorn († 1827) weiter. Gegen diese Kritik, welche mehr und mehr das göttliche Ansehen der h. Schrift untergrub, erhob sich Hengstenberg in seinen Schriften, welchem wieder Hävernik und Keil in ihren Einleitungswerken folgen. – Die Neutestamentliche Einleitung insonderheit ist von Semler, Eichhorn und Berthold, ebenso wie die Alttestamentliche, in kritisch negativem Sinn behandelt worden; etwas positiver, aber ebenfalls noch der kritisch negativen Richtung zugethan, sind die zum Teil sehr gründlichen Werke von de Wette, Credner und Reuß. Daß auch vom kirchlichen Standpunkte aus die Wissenschaft nicht minder gründlich gefördert werden könne, haben der Katholik Hug in seiner Einleitung zum N. Testament und später Guericke (Neutestamentliche Isagogik) gezeigt.

 Einen großen Kampf über das N. Testament auf einleitungswissenschaftlichem Gebiet hat, mit 1835 beginnend, die Baur’sche Schule in Tübingen herbeigeführt. Sie verlegt die Abfassung fast sämtlicher Neutestamentlicher Schriften in das zweite Jahrhundert und erklärt ihren Charakter aus absichtlichem Bezüge auf die damaligen Streitigkeiten zwischen der sog. paulinischen (widergesetzlichen, freien) und der petrinischen (gesetzlichen, judaisierenden) Richtung (vgl. Gal. 2, 11–21 und die Versuche, beide Richtungen zu vermitteln (vgl. Apostelgeschichte, besonders 15, 1–35). Jedoch ist diese Verkehrung des Thatbestandes bereits siegreich aus dem Felde geschlagen worden von Thiersch (Versuch zur Herstellung etc. 1845), Tischendorf (Wann wurden unsere Evangelien verfaßt 1865), Hofmann (Das Neue Testament zusammenhängend untersucht, 1862 ff.), welcher letztere überall die Behauptungen der Tübinger Schule einer eingehenden exegetischen und historischen Prüfung unterzieht, von Ebrard in seinem großen Werke: „Kritik der evangelischen Geschichte“, 3. Auflage, 1868. Erhebliches hat R. Grau in seiner „Entwicklungsgeschichte des Neutestamentlichen Schrifttums“ (2 Bände, Gütersloh bei Bertelsmann 1871) auf dem Gebiete der N.T.lichen Einleitungswissenschaft geleistet, indem er der tendenziösen Darstellung der negativen Richtung eine aus tiefem Verständnis N.T.lichen Schrifttums und gründlichen Forschungen erwachsene wahrhaft genetische im Sinne der kirchlichen Tradition gegenüberstellte.

 Als wichtigstes Werk, das auf positiver Seite in neuester Zeit erschienen ist, muß bezeichnet werden die zweibändige Einleitung in das Neue Testament von D. Theodor Zahn (Leipzig, A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung Nachf. G. Böhme, 1897–1899). Gestützt auf umfassende Kenntnis der altkirchlichen