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einen Spruch wie c. 35 an jenes künftige Geschlecht richtete, sondern ganz und gar in jene Zeit sich einlebte, daß er in der langen c. 40–66 enthaltenen Reihe von Reden überall nicht seine Zeitgenossen, sondern jene Nachkommen und ihre Verhältnisse vor Augen hatte (vgl. C. v. Orelli, die A. T.liche Weissagung von der Vollendung des Gottesreiches, Wien 1882).

 Wir müssen daran festhalten, daß der historische Jesaja auch der Verfasser des 2. Teils ist. Jesaja 40–66 muß entweder zu einer Zeit geschrieben worden sein, da Menschen das weltgeschichtliche Auftreten des Cyrus auch nicht einmal ahnen konnten, oder aber c. 40–66 ist kein kanonisches Buch. Die Nennung des Cyrus, 150 Jahre vor seinem Auftreten, das ist es, woran man von gewisser Seite Anstoß nimmt; gerade aber die Wunderbarkeit dieses Vorganges ist es, was der Verfasser an demselben betont. Aus diesem Beweis seiner Allwissenheit sollte Israel seinen Gott als den allein wahren erkennen und dadurch zu ihm bekehrt werden (cf. c. 41; c. 43, 8–13). Wenn nun die Nennung des Cyrus keine Weissagung ist, dann wurde die Bekehrung verhindert, denn dann mußte eintreten, was Jesaja verhindern wollte: ein heidnisches Israel sollte nicht sagen können: mein Götze (Jer. 44, 18 etc.) hat mich erlöst; ein bei sich selbst weises Volk sollte nicht sagen können (aus seiner Betrachtung der Zeitumstände heraus): siehe, das wußte ich wohl (vgl. Jes. c. 48 v. 5 und v. 7). Die Erlösung sollte als Gottes That erkannt werden; das geschah, wenn sie auf wunderbare Weise zuvor angekündigt war. Nach eingetretener Erfüllung kam ihnen dann die Thatsache, daß das Eingetretene längst geweissagt war, ebenso zum Bewußtsein, wie den Jüngern die Erfüllung von Sacharja 9, 9 nach der Auferstehung des HErrn (Joh. 12, 16). Wenn der Verfasser von c. 40–66 nicht Offenbarungen wiedergibt, sondern nur aus der Betrachtung der Zeitverhältnisse sich ergebende menschliche Vermutungen in das Gewand der Weissagung kleidet, so kann er um so weniger als wahrhaftiger Prophet anerkannt werden, je geflissentlicher er die Nennung des Cyrus als Werk der Allwissenheit bezeichnet. Nach dem sittlichen und religiösen Gehalt, der dem angezweifelten Werk eignet, ist übrigens eine solche Annahme aus psychologischen Gründen bereits ausgeschlossen.