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 Aber auch auf Cyrus konnte die Weissagung ihre Wirkung nicht haben, wenn ihr Weissagungscharakter nicht feststand. Nach c. 45, 1–7 und c. 55, 6–13 sollte die Weissagung den Cyrus zur Befreiung Israels bestimmen und nach Esra 1, 1 etc. hat sie ihn auch dazu bestimmt. Daß hier Gott nicht durch Machtthaten wie in Ägypten, sondern durch das Wort wirken will, entspricht dem Charakter der neuen Periode, die sich jetzt anbahnt, da das Reich Gottes durch die Predigt des Wortes gebaut werden soll.

 Man sagt, der Standpunkt des Verfassers von c. 40-66 sei durchaus der exilische; dies passe nicht für den lange Zeit vor demselben lebenden Jesajas. Aber der richtige Grundsatz, daß es für jede Weissagung zeitgeschichtliche Voraussetzungen geben müsse, darf nicht nach der Seite hin übertrieben werden, daß man in Bezug auf die in der Zukunft aufeinander folgenden Thatsachen behauptet: es könne von einer späteren nicht eher geweissagt werden, als bis die frühere in die geschichtliche Wirklichkeit eingetreten sei. Im übrigen sind die geschichtlichen Voraussetzungen für die Weissagungen des 2. Teils, wie oben gezeigt, ausreichend gegeben. Wenn aber der Verfasser von c. 40–66 sich in c. 40, 1–11 in die Zeit des 500 Jahre nach dem Exil stattfindenden Auftretens Johannes des Täufers versetzen konnte, so vermochte auch der historische Jesaja in die Zeit des etwa 100 Jahre nach seinem Tod eintretenden Exils sich zu versetzen. Die lebendige Versetzung in spätere Zeit ist noch dazu eine durchgängige schriftstellerische Eigentümlichkeit unseres Propheten. Zur Zeit des Ahas versetzt er sich in die angedrohte Zeit der assyrischen Bedrängnis, die unter Hiskia dann stattfand, so lebhaft, daß er c. 8, 8, als lebte er bereits darin, den Immanuel, dessen Kommen er soeben erst geweissagt hatte, schon zur Hilfe herbei ruft. Oder c. 22, 1 versetzt er sich bereits in den Augenblick der Erstürmung Jerusalems durch die Chaldäer. Erst im Verlauf des Kapitels erfahren wir, daß es noch weit bis dahin ist. Ähnlich ist es c. 18 oder c. 33, wenn man v. 13–16 mit v. 17 etc. vergleicht und an anderen Stellen. Die gleiche Weise zeigt der Prophet also auch c. 40 bis 66; hier ist ihm aber nicht bloß die Zeit des babylonischen Exils Gegenwart, sondern auch die Zeit der Erscheinung des HErrn im Fleisch und der Bekehrung Israels zu seinem Heiland (cf. c. 53).