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in der Ausübung seines Berufes innezuhalten (c. 20, 7 etc.). Er verflucht den Tag seiner Geburt; in dem Aufruf zur Freude an derselben sieht er grausame Verhöhnung (c. 20, 14). Wir haben hier die Schranken des alttestamentischen Frommen, für welchen der Tod noch nicht der Eingang zum Leben und das Abscheiden aus der irdischen Welt noch nicht das Heimkommen zum HErrn war, der dem Tag des Heils erst entgegen ging. Diejenigen, welche Jes. 40–66 im Exil entstanden sein lassen, meinen in Jeremia ein Vorspiel des leidenden Knechtes Gottes Jes. 53 sehen zu dürfen. Aber Stellen wie c. 17, 18; 18, 18 etc.; 20, 14 etc. wollen nicht zu dem Bild der vergebenden Liebe stimmen, wie es Jes. 53, 12 gezeichnet ist. Auch im Verhältnis zu seinen Feinden also zeigt Jeremia den alttestamentlichen Standpunkt (vgl. 1 Sam. 26, 19). Wohl aber erscheint Jeremia als Repräsentant des unter dem Verderben der Gesamtheit mitleidenden Häufleins der Gläubigen (cf. Jes. 8, 16–18) in Stellen wie c. 15, 15–21, wo er übrigens auch spezielle eigene Erfahrungen hineinverwoben hat. C. 10, 24 spricht er im Namen des vergewaltigten Volkes Gottes überhaupt; in c. 12, 17 etc. ist die Feindschaft des Volkes wider den Propheten ein Abbild der feindseligen Erhebung Israels gegen seinen Gott.

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 Die Sprache Jeremias zeigt im allgemeinen nicht den Schwung seines Vorgängers Jesaias: er ist mehr der auch dem gemeinen Mann verständliche Buß- und Strafprediger; seine Reden dehnen sich in die Länge, denn der Stoff, über den er zu reden hat, ist unerschöpflich; das verkehrte sündliche Treiben des Volks gibt ihm immer wieder neuen Anlaß; doch ist seine Gerichtsverkündigung von der Empfindung tiefen Mitleids durchdrungen, wie er denn, freilich vergeblich, bei Gott um Gnade für sein Volk nachgesucht hat. In anderer Weise erscheint die Tiefe seiner Empfindung bei seiner an die Exulanten ergehenden Einladung zur Umkehr, da stehen ihm die ergreifenden Töne zu Gebot, vgl. c. 29, 11–14; c. 31 v. 3, v. 20. – Mehr als bei anderen Propheten treten die eigenen persönlichen Anliegen und Interessen hervor; er klagt dem HErrn, der ihn in das Prophetenamt gesetzt hat, seine äußere und innere Not und empfängt darauf göttliche Antwort (c. 17, c. 18, c. 23 etc.). Seine Erlebnisse bilden einen Hauptbestandteil seines Buches; sie