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 3. Der Zweck des Buches Daniel ist zunächst der, im Volk Gottes die Kenntnis der wunderbaren Thatsachen, durch welche sich der HErr inmitten der Heidenwelt während des Exils als der Gott aller Götter und König aller Könige erwies, zu erhalten und die Offenbarungen, welche der am Hofe der Weltherrscher lebende Daniel über die Entwicklung des Weltreichs und den Ausgang seiner Feindschaft wider das Reich Gottes empfing, dem Volk Gottes zu übermitteln. Sodann aber verfolgt es den weiteren Zweck, das Volk Gottes für die Zeit, wo es unter der Weltmacht steht, durch geschichtliche Beispiele zu belehren, daß der HErr, der König aller Könige, seine Getreuen, welche Gottes Gebot über den Willen der Gewaltigen dieser Erde stellen, gegen diese zu bewahren weiß (c. 1 bis 6), und durch die Geschichte zu trösten, daß die Weltmächte und die Händel derselben, unter denen das Volk Gottes zu leiden hat (c. 11), unter der Leitung des Allerhöchsten stehen, und daß, wenn es zum äußersten in der Gottesfeindschaft der Welt gekommen sein wird, die Weltmacht ein Ende nehmen wird, damit das Reich Gottes erstehen kann (c. 7–12).

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 4. Die Stellung des Buches im Kanon. Das Buch steht im hebräischen Kanon nicht unter den Propheten, sondern unter den Hagiographen, zwischen Esther und Esra. Die Ursache hievon liegt nicht, wie die Gegner der Echtheit meinen, darin, daß das Buch erst entstanden ist lange nachdem die Sammlung der Propheten geschlossen war, sondern darin, daß Daniel nicht bloß ein prophetisches Buch, sondern auch ein Geschichtsbuch ist, welches die wichtigsten Ereignisse, die das Volk Gottes in einzelnen Vertretern während des Exils erlebte, enthält und überliefert. Mit Recht eröffnet es daher in der alten Reihenfolge der biblischen Bücher die Reihe der nachexilischen geschichtlichen Schriften (vgl. § 4 p. 7 Anmerkung). – Auch als Prophet nimmt Daniel eine abgesonderte Stellung ein. Er ist nicht zur Gemeinde des HErrn gesandt, wie Jeremia oder Sacharja, um einen Auftrag an dieselbe auszurichten; er steht nicht inmitten seines Volkes wie Ezechiel; für die meisten seiner Volksgenossen stand er wohl in unerreichbarer Höhe. Er richtet weder Straf- noch Trostreden an sein Volk. Er empfängt gewissermaßen als Privatmann Aufschlüsse über die zukünftige geschichtliche Entwicklung; seine Mitteilungen