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den Handschriften verschieden. Unecht, weil vielfach unrichtig, sind auch die Unterschriften, die man noch später beifügte.


§ 64.

 Der Text des N. Testaments, der, wie schon bemerkt, durch die Hände vieler Abschreiber gegangen ist, wurde im Laufe der Zeit unabsichtlich, an einigen Stellen auch absichtlich verderbt. Man zählt an 50,000 Varianten, d. i. Verschiedenheiten des Textes, die aber, dank der göttlichen Providenz, nicht so wesentlich sind, daß sie den Grund des Glaubens berührten.

 Diese Varianten erweisen sich als Zusätze, Auslassungen, Versetzungen und Vertauschungen und betreffen entweder Buchstaben oder Wörter oder ganze Sätze. Der gelehrte Abschreiber wollte etwa den Text sprachlich verbessern oder sachlich vervollständigen. Schrieben die einen ihre Weisheit über oder in den Text, so schrieben andere sie nur an den Rand, ihre Glossen kamen aber später in den Text. Zuweilen änderte man, um vermeintliche dogmatische Anstöße zu beseitigen, oder den Häretikern eine gemißbrauchte Beweisstelle zu entreißen. Die Väter klagen auch über absichtliche Fälschungen seitens der Häretiker. Nicht selten auch erscheint der Text durch liturgische Zusätze verändert, welche die kirchliche Vorlesung veranlaßte. Sehr junge Handschriften stehen sogar unter dem Einflusse der Vulgata. Die Texte sind einander auf solche Weise im einzelnen sehr unähnlich geworden. Doch kann man gewisse Gruppen von Texten erkennen, welche unter sich mehr Ähnlichkeit haben, als mit anderen Texten. Diese sind die sog. alexandrinische, konstantinopolitanische und occidentalische Gruppe. So Griesbach. Andere unterscheiden eine orientalische Gruppe (alex. und ägypt. Text) und eine occidentalische Gruppe (der bei den lateinischen Kirchenvätern gebräuchliche Text in den griech. Unzialhandschriften; der asiat.-griechische und der byzantinische Text).

 Als Gutenberg 1440 die Buchdruckerkunst erfand, kam sie bald auch der Bibel zu gute. Man fing an, dieselbe, anstatt durch Abschriften, durch den Druck zu vervielfältigen. Die ersten Druckausgaben des Neutestamentlichen Textes besorgten im Jahre 1516 der Kardinal Ximenes von Alcala (Complutum) und Erasmus von Rotterdam. Der erasmische Text gewann allgemeine Geltung, er wurde der textus receptus, obwohl der complutensische besser war. Aus der zweiten Ausgabe des erasmischen Textes ist auch Luthers Übersetzung des N. Testaments geflossen.

 Bis ins vorige Jahrhundert war der erasmische Text in allgemeiner Geltung. Da fing man an, das Augenmerk auf die Herstellung eines dem ursprünglichen Texte möglichst entsprechenden