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die kleinasiatische Christenheit. Auf seiner dritten Reise (Akt. 18, 23) stärkte sie der Apostel. Er fand bei diesem Besuch noch keinen Grund zur Klage. Aber fast unmittelbar nach seinem Besuch, als er eben seine Wirksamkeit in Ephesus begonnen hatte, mußte er zu seinem tiefen Schmerze hören, daß pharisäisch gesinnte Judenchristen in die galatischen Gemeinden eingedrungen seien, die sein apostolisches Ansehen gegenüber dem der eigentlichen „Säulenapostel“ (insonderheit des Petrus) 2, 9 herabzusetzen und die Gemeinden an seinem Evangelium irre zu machen suchten. Er hatte gelehrt, daß zur Rechtfertigung des Menschen vor Gott nichts anderes nötig sei, als der Glaube an die Gnade Gottes in Christo, jene aber redeten der Gemeinde ein, ohne Annahme des Gesetzes und der Beschneidung könne man nicht selig werden. Die Mehrzahl wollte sich schon bethören lassen und die Beschneidung annehmen. Dieser drohenden Gefahr vorzubeugen, schrieb Paulus von Ephesus aus (wo er während der Zeit vom Jahre 55–58 sich aufhielt) mit eigener Hand diesen Brief (Ende 55 oder Anfang 56), in welchem er in heiligem Eifer einerseits sein apostolisches Ansehen und die Richtigkeit seiner Lehre wahrte, anderseits aber wohl mit Rücksicht auf hervorgetretene anderweitige Übelstände in der Gemeinde (ungeistliches und unbrüderliches Verhalten einzelner Glieder) (5, 15; 6, 1 ff.) falsche Folgerungen aus seiner Lehre von der christlichen Freiheit abwehrte und aufzeigte, wie der geistlich Freie Fleischeswerke nicht thue (5, 16 ff.), dagegen Christi Gesetz, nämlich das Gesetz der Liebe, erfülle (6, 1 ff.). Dieser Brief ist somit ein rechter Lehrbrief. Kern und Stern desselben ist einerseits die Lehre von der Freiheit des Christen vom Gesetze und von der Rechtfertigung allein aus Glauben, anderseits von der wahren Gesetzeserfüllung aus dem Geiste. Dies beides ist in diesem Brief wie in keinem andern nach allen Seiten erwiesen und durchgeführt. Der Lehrgehalt ist somit wesentlich derselbe wie der des Römerbriefes; nur daß in letzterem mehr der ruhige Fluß zusammenhängender Gedankenentwickelung herrscht, während im Galaterbrief die Erörterung in Form eines lebhaften Gesprächs mit den Lesern verläuft und das Gemüt des Apostels, für den die Frucht seiner ganzen galatischen Missionsthätigkeit auf dem Spiele stand, in stärkere Mitleidenschaft gezogen erscheint.

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