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politischen Gefahren, die eine solche Versammlung der ganzen männlichen Bevölkerung an einem Ort im Gefolge haben könnte: Niemand soll Deines Landes begehren, wenn Du hinaufgehst zu erscheinen vor dem HErrn. Somit enthält also schon der Jehovist den Gedanken der Centralisation. – Der Priesterkodex soll diese Centralisation für etwas Selbstverständliches ansehen; man meint, deswegen ihn nach dem Deuteronomium ansetzen zu müssen. Nach dem Obigen ist das nicht nötig; ja wir finden gerade hier einen Zug, der zum Gegenteil nötigt. Auch der Priesterkodex schärft nämlich das Gebot ein, daß der HErr nur an einem Ort verehrt werden solle, vgl. Lev. 17, 1–9. Solches Einschärfen stimmt nun freilich nicht zu dem Entwicklungsbild, wie W. es zeichnet. Dem Gewicht dieser Stelle sucht daher W. sich so zu entziehen: „Früher war Opfer und Schlachtung immer verbunden. Bei solcher Sachlage war eine Centralisation des Kultus nicht möglich. Eben deswegen trennt Deut. 12 die beiden Akte ausdrücklich von einander. Aber das Volksbewußtsein konnte sich von dem Gedanken der Zusammengehörigkeit beider nicht losmachen (notabene trotzdem, daß Israel nun 70 Jahre im Exil zugebracht und diese ganze Zeit über auf Opfern hatte verzichten müssen). Daraus erwuchs die Gefahr, daß sich unter der Hand eine Vielheit der Altäre wieder einschlich; daher die „unpraktische“ Verordnung von Lev. 17.“ – Allerdings „unpraktisch“ dürfte bei den nachexilischen Verhältnissen, da ein großer Teil der Juden in der Diaspora lebte, diese Verordnung wohl gewesen sein. Abgesehen von Jerusalem und seiner Nachbarschaft war den Juden dadurch der Fleischgenuß mit Ausnahme der drei hohen Feste entzogen; wer aber nicht zu denselben kommen konnte, mußte ganz verzichten. – Indessen war wirklich das Volksbewußtsein nach dieser Seite so gebunden, wie W. es darstellt? Bereits der Jehovist kennt sehr wohl den Unterschied zwischen Schlachten und Opfern, wie aus der Patriarchengeschichte erhellt; vgl. die Bereitung des Mahles, welches Abraham seinen drei Gästen in Mamre bereiten ließ Gen. 18, 7 oder das Essen, das Jakob seinem Vater hineintrug Gen. 27, 9; 1. Sam. 14, 34 aber bringt Saul die Schlachttiere nicht als Opfer dar, sondern er verhindert nur, daß Blut gegessen werde. Warum ist dann aber Deut. 12 so ausdrücklich das Schlachten erlaubt? Dies begreift sich bloß im Gegensatz zur Praxis, die während der Wüstenwanderung statt hatte. Da konnte jede Schlachtung ein Opfer sein, denn das ganze Volk wohnte ja in einem einheitlichen Lager zusammen. Mit dem Einzug ins Land änderten sich die Verhältnisse, daher die Bestimmung Deut. 12. Übrigens läßt schon Lev. 17 durchblicken, daß das Schlachten nicht verboten worden wäre, wenn die Israeliten nicht (was sie in Ägypten wohl geübt hatten) dabei den Feldteufeln geopfert hätten. – Mit der Meinung W.’s stimmt auch schlecht zusammen die Äußerung des nachexilischen Propheten Maleachi, c. 1, 11, der sogar vom Opfer in Aussicht stellt, daß es nicht auf einen Ort werde eingeschränkt sein, sondern an allen Orten der Erde unter allen Heiden werde gebracht werden. – Abstrakte Centralisation des Kultus kennt aber auch das Deuteronomium selber nicht. Dasselbe Buch, das c. 12 so ernstlich forschen