Seite:Ficker Entstehung Sachsenspiegel 076.jpg

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Beachtung von Varianten die Fassung sogar noch etwas näher bringen liesse, so liegt eine so grosse Uebereinstimmung in der Form vor, dass die Stellen doch wohl unzweifelhaft auseinander, oder aus einer gemeinsamen dritten Quelle abgeleitet sein müssen. Letztere ist hier höchst unwahrscheinlich; mit Grund würden wir wohl nur auf eine lateinische Vorlage schliessen dürfen; und bei selbstständiger Uebersetzung aus einer solchen dürfte der deutsche Wortlaut schwerlich so viel Uebereinstimmung zeigen.

Fand aber Benutzung des einen Werkes durch das andere statt, so dürfte doch der Ssp. die Quelle der Chronik sein. Es kann nicht auffallen, wenn der Chronist, wo ihn der Faden der Erzählung auf das hervorragendste Beispiel der Anwendung jenes Rechtssatzes führt, sich der Stelle des Rechtsbuches erinnert und mit ihren Worten erzählt. Dagegen führt die umgekehrte Annahme auf Unwahrscheinlichkeiten. Ssp. 1, 38 handelt überhaupt von den Rechtlosen; die Rechtlosigkeit der über Jahr und Tag vom Reiche Geächteten führt ihn hier ganz ungezwungen zugleich, auf die Bestimmungen über Eigen und Lehen des rechtlosen Geächteten; wie hätte er nun gerade für diese auf die Chronik greifen sollen, wo die Rechtlosigkeit wenigstens mit diesem Ausdrucke nicht einmal erwähnt wird, aus welcher er weiter den in engster Verbindung stehenden Schluss seines Satzes gar nicht entnehmen konnte, während, was doch wohl zu beachten, die Chronik alles, was sie über das Rechtsverhältniss bemerkt, dem Ssp. entnehmen konnte. Auch das dürfte zu berücksichtigen sein, dass wir für den Ssp. eine lateinische Vorlage annehmen müssen; mag diese immerhin dürftiger gewesen sein, die hier in Frage stehenden Bestimmungen stehen in enger Verbindung mit den vorhergehenden und den folgenden und dürften schwerlich ganz gefehlt haben und nicht erst vom deutschen Bearbeiter nach der Chronik eingeschoben sein. Dagegen ergibt sich für die Chronik die Nothwendigkeit der Annahme einer anderweitigen Quelle, welcher sie hier folgte, nicht; die reichlichen Spuren der Uebersetzung aus dem Lateinischen verlieren sich schon früher fast ganz, wie die sorgfältige Zusammenstellung bei Massmann a. a. O. 683 ff. ergibt; und sind in der Chronik auch ausser den

bekannten unzweifelhaft noch andere Quellen des zwölften Jahrhunderts

Empfohlene Zitierweise:
Julius von Ficker: Über die Entstehungszeit des Sachsenspiegels und die Ableitung des Schwabenspiegels aus dem Deutschenspiegel. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1859, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Entstehung_Sachsenspiegel_076.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)