Seite:Ficker Vom Reichsfürstenstande 032.jpg

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Einförmigkeit die Entfaltung fremder Volkstümlichkeiten zu ersticken und die eigene durch Zuweisung einer ihre Kräfte übersteigenden Aufgabe zu verbrauchen und in einem einförmigen Völkergemenge zu verflüchtigen. Wer die hier massgebenden geschichtlichen Verhältnisse überdenkt, wird sich weder verhehlen können, dass diese Aufgabe nothwendig zu lösen war, noch auch, dass nur unsere Nation sie zu lösen befähigt schien; und auch die Erwägung könnte ihm nahe treten, dass, wenn entsprechende Aufgaben noch bestehen, die Lösung, wenn überhaupt, wieder nur von unserer Nation zu hoffen ist.

Den universalen Aufgaben des Reichs entsprach eine räumliche Lage und Ausdehnung, wie sie günstiger kaum zu erdenken wäre. Weitgedehnt, aber in festgeschlossener Masse erfüllten die Länder des Kaiserreichs die ganze Mitte des Welttheils vom deutschen Meere bis zur Adria, von den baltischen Küsten bis zu den südlichen Gestaden, wo Pisa sich als getreueste Tochter des Reichs bekannte, wo dem Kaiser zu Arles die Burgunderkrone bereit lag; nirgends begränzt von ungangbaren Gebirgen, welche dem Schwachen ein Schutz, die freie Bewegung des Starken hindern, lagerten sie sich in breiten Massen um die Felsenburg der Alpen; kein Pass, den nicht hüben und drüben des Reiches Vasallen geschirmt hätten. Allen andern Staaten des Abendlandes weit überlegen, fast alle trennend und auseinanderhaltend, musste das blosse Bestehen des gewaltigen Reichskörpers genügen, die staatliche und kirchliche Ordnung des Welttheils gegen jeden gewaltsamen Umsturz zu sichern, so lange er selbst in sicherer Ruhe beharrte. Und dennoch waren nach keiner Seite die Gränzen so weit gesteckt, dass die kriegerische Kraft der herrschenden Nation ihrer Behauptung gegen äussern Andrang, gegen innern Abfall nicht gewachsen gewesen wäre, lässt sich kaum ein Bestandteil bezeichnen, dessen Fortfall die Bedeutung des Ganzen nicht wesentlich beeinträchtigt haben würde. Wie gleichgültig mag es manchem scheinen, ob jenes Königreich von Arles die Hoheit des Kaisers anerkannte oder nicht, von welchem seit seinem Erwerbe unsere Geschichten kaum etwas zu melden wissen, dessen Verlust fast unbeachtet an der Nation vorüberging. Und doch, welcher Besitz wäre wertvoller gewesen, um den Bestand des Reiches durch Fernhaltung äusserer Störungen zu schirmen, welcher Verlust wurde verhängnissvoller für die ganze Umgestaltung der Machtverhältnisse des Welttheils?

Den tatsächlichen Ansprüchen auf universale Bedeutung, wie sie begründet waren in den räumlichen Verhältnissen, in der Mannichfaltigkeit der nationalen Gestaltung, fehlte auch die rechtliche Anerkennung nicht. In doppelter Richtung knüpfte sie an die Kaiserkrone an; als Nachfolger der Imperatoren wies sie den deutschen Kaiser hin auf das weite Erbe seiner Vorgänger am Reiche; als Vogt der Kirche von

Rom brachte sie ihn in nächste Beziehung zu der dort gipfelnden

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Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_032.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)