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kirchlichen Ordnung, berief ihn zum weltlichen Schirmherrn der ganzen Christenheit.

Aber eben die Beziehungen zur Kirche, welche so mächtig einwirkten auf die Bildung eines die Gränzen des Landes und der Nation weit überschreitenden Reiches, welche diesem die rechtlichen Ansprüche auf universale Bedeutung gaben, wurden doch auch wieder zur Schranke, welche es zu einer Verwirklichung dieser Ansprüche bis zu universaler Herrschaft nicht kommen liess. Der Träger jeder Gewalt wird schwer darauf verzichten, den Wirkungskreis derselben auszudehnen, wenn die Gelegenheit dazu geboten scheint; und wenn das deutsche Reich nicht zum Weltreiche erwuchs, so dürfte das einer masshaltenden Besonnenheit unserer Herrscher, obwohl sie manchem eigen war, am wenigsten zugerechnet werden. Auch von einem äussern Gleichgewichte politischer Kräfte, in welchem die Neuzeit ihren Halt suchte, konnte nicht füglich die Rede sein; es war keine Verbindung unter den Staaten jener Zeit denkbar, welche auf materielle Machtmittel gestützt dem Reiche gewachsen gewesen wäre. Dennoch bestand ein genügendes Gleichgewicht; das weltliche Schwert wurde durch das geistliche in der Schwebe gehalten. Wie der Staat des Mittelalters der Stütze der Kirche nicht entrathen konnte, so bedurfte ihrerseits die Kirche eines mächtigen weltlichen Schutzes; war nur der deutsche Herrscher in der Lage, diesen zu gewähren, so gebot das eigene Interesse der Kirche, ihn bei Gewinnung der dazu nöthigen Machtstellung zu fördern und zu schirmen. Dann aber war es auch wieder die der christlichen Kirche des Abendlandes so ganz eigenthümliche, zur Lösung der ihr gestellten Aufgaben unerlässliche, die ganze Entfaltung der abendländischen Kultur so wesentlich bestimmende Richtung auf Unabhängigkeit von der weltlichen Gewalt, welche keine schrankenlose Ausdehnung des Reichs gestatten, den Schützer der ganzen Christenheit nicht zu ihrem Herrn werden lassen durfte. Daher das Streben der Kirche, die Rechte ihres Vogtes auf das nöthigste Mass zu beschränken, lieber politische Interessen des Gesammtkreises möglichst in den Bereich eigener Wirksamkeit zu ziehen; daher jene kirchliche Politik, welche das Entstehen einer Reihe selbstständiger Staaten im Kreise des abendländischen Lebens zu fördern, ihren Bestand zu schirmen suchte; daher vor allem die ängstliche Sorge um die Aufrechthaltung jener für den ganzen Bestand des kirchlich-politischen Gleichgewichtssystemes entscheidenden Machtvertheilung in Italien, welche der für die Interessen der Kirche eben so nothwendigen, als bedenklichen Herrschaft des Kaisers im Norden der Halbinsel an dem päpstlichen Lehenkönigthume im Süden ein genügendes Gegengewicht gab.

Trotz der gewaltigen geistigen Machtmittel, welche die Kirche jener Jahrhunderte in Bewegung zu setzen vermochte, trotz des Interesses aller dem Reiche nicht unterworfenen Staaten, sie in ihrem Streben zu

unterstützen, möchte es doch zweifelhaft sein, ob der blosse Gegensatz

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Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_033.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)