Seite:Ficker Vom Reichsfürstenstande 036.jpg

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Uebergriffe der Reichsgewalt zeitweise bedroht, in dem einseitigen Streben, diese abzuwenden, darauf vergass, wie nöthig der ungeschmälerte Bestand des Reiches ihren eigenen dauernden Interessen sei, und selbst die Macht grosszog, welche ihr gefährlicher werden sollte, als es das Reich jemals gewesen; verlassen endlich von der Nation, welche den Herrschern auf jenen ihren Neigungen wie ihren Kräften gleich wenig entsprechenden Pfaden nicht folgen mochte, sich nun überhaupt auch von den nothwendigen universalen Aufgaben mehr und mehr zurückzog, damit aber zugleich die Auflösung und Ohnmacht ihres nationalen Staatswesens herbeiführte.

Und auch die Ansicht, das letztere sei zu vermeiden gewesen, wenn unser Volk sich von vornherein auf den eigenen Kreis beschränkt, sich jeder umfassendern Aufgabe entschlagen hätte, möchte vor einer unbefangenen Prüfung der geschichtlichen Thatsachen schwerlich bestehen können; eher möchten wir diesen, so wenig das geläufigen Anschauungen entsprechen mag, die Folgerung entnehmen, als sei das den Rahmen der Nation weit überschreitende Reich die einzige Gestaltung, mit welcher ein engerer politischer Verband und eine entsprechende Machtstellung unseres Volkes überhaupt vereinbar sei, als gebe es für uns keine Mitte zwischen staatlicher Uebermacht und Ohnmacht. Nur selten wird ein Volk, welches sich seiner Macht bewusst ist, in der Lage sein, sich auf die eigenen Gränzen beschränken, der Herrschaft über Nachbargebiete entsagen zu können; hiehin oder dorthin wird die Wagschale sich neigen, das Volk, welches sich nicht mehr befähigt fühlt, über andere zu herrschen, wird sich auch gefasst machen müssen, die Fremdherrschaft bei sich einkehren zu sehen. Doppelt musste das gelten für die deutsche Nation eben wegen jenes Triebes, in staatlichen Dingen von unten aufzusteigen, sich in nächstliegenden Kreisen das Recht der Selbstbestimmung zu wahren, einer allgemeineren Regel sich nur in dem Unerlässlichsten zu fügen; ein Trieb, welcher im ganzen Wesen der Nation tief begründet sich so wenig ertödten liess, als seine Ertödtung wünschenswerth sein könnte; welcher aber freilich bei der durch ihn bedingten lockern Fügung der grössern Kreise des Staatslebens eine Ausgleichung erheischt, soll nicht anders die freiere Bewegung im Innern durch eine Schmälerung der Widerstandskraft nach aussen erkauft werden, welche auf die Dauer auch jene nur um so gründlicher beseitigen würde. Diese Ausgleichung bot jenes Hinausgreifen des deutschen Staatswesens über die Nation, jenes Auswachsen bis zu einem die ganze Mitte des Welttheiles umfassenden Kaiserreiche. In ihm war die mangelnde Konzentration der Kräfte für jeden Zweck der Erhaltung und Vertheidigung, freilich auch nur für diesen, hinlänglich ersetzt durch ihre Massenhaftigkeit, ihre günstige räumliche Vertheilung; es waren durch dieses Uebergreifen der deutschen Herrschaft der durch ihre Neigung zu staatlicher Centralisation und erobernder Ausdehnung

gefährlichsten Nachbarnation weite Länder entzogen, welche die aktive

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Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_036.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)