Seite:Ficker Vom Reichsfürstenstande 038.jpg

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Aufgaben des Staatslebens zu entsprechen, veniger auffallend hervortreten zu lassen. Als dann das Bedürfniss nach aussen und nach innen sich immer fühlbarer machte, schien es nicht mehr möglich, den Rückweg zu finden, vom Einzelnen aufsteigend es für die nöthigen Bedürfnisse der Einheit wieder in grössere naturwüchsige Gliederungen zusammenzufassen, die neue Form zu schaffen, welche den Bedürfnissen des Ganzen Rechnung trug, ohne den Sonderinteressen unnöthige Gewalt anzuthuen. Die blosse Vereinzelung würde den Rückweg nicht abgeschnitten haben; aber zu der Vereinzelung trat die ungleich bedenklichere Spaltung; und die im Wesen und der Geschichte der Nation wurzelnden Grundlagen einer gesunden Gliederung, welche die Vereinzelung wohl wirkungslos werden liess, ohne aber eine Rückkehr zu ihnen auszuschliessen, wurden gebrochen durch das Streben mächtigerer Einzelstaaten, welche das Bedürfniss der Einigung anfangs weniger fühlend, die üblen Folgen der Vereinzelung, nicht im Interesse des Ganzen zu heben, sondern vor allem für die Zwecke eigener Vergrösserung auszubeuten bedacht waren. Und so hatte ein grosser Theil der Nation nicht allein den Verlust der äussern Machtstellung zu beklagen; es war ihm ferner auch das versagt, wofür er jene geopfert hatte, die staatliche Selbstständigkeit in engeren, durch gleiche Sonderinteressen geeinigten Kreisen; was man einst den grossen Zwecken des Reichs verweigerte, das musste man nun in weit höherem Grade, als jene es erfordert hätten, den Sonderinteressen von Einzelbildungen gewähren, ohne durch das Bewusstsein der Förderung gemeinsamer Aufgaben der Nation dafür entschädigt zu sein.

Letzteres werden freilich diejenigen nicht zugestehen, welche an diese spätere Entwicklung anknüpfend die Ansicht vertreten möchten, ein den Bedürfnissen der Nation entsprechendes Staatswesen sei nur von dem allmähligen Aufgehen derselben in einen einheitlich gestalteten Einzelstaat zu erwarten. Dass aber unsere Geschicke sich in einer Entwicklung vollenden sollten, welche von ursprünglich slavischem Boden ausgehend, in schroffstem Gegensatze zu den Richtungen steht, welche von jeher das deutsche Staatsleben beherrschten, einer Entwicklung, welche auch in möglichst vollendeter Durchführung weder den äussern noch innern Bedürfnissen der Nation genügen, unzweifelhaft nur den Uebergang zum völligen Abtreten derselben von ihrer weltgeschichtlichen Laufbahn bezeichnen könnte, möchte doch schwerlich zu erwarten sein; wohl aber um so mehr zu fürchten, dass das Streben nach solcher Entwicklung, nach einem Staate, wie er den, zwar am wenigsten in unseren nationalen Anschauungen wurzelnden, aber unserer Zeit geläufigsten Theorieen gemäss sein sollte, das grösste Hindemiss sein dürfte für ein den nöthigsten Bedürfnissen genügendes Gesammtstaatswesen, wie wir es haben könnten. Eine Erwägung des seitherigen Verlaufes unserer Geschichte wird uns eher den Gedanken nahe legen müssen,

dass jeder nur die Nation und ihre nächsten Interessen ins Auge

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Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_038.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)