Seite:Ficker Vom Reichsfürstenstande 039.jpg

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fassende, sich auf sie beschränkende Versuch zur Wiederherstellung unseres Staatswesens wenig Aussicht auf Erfolg haben, dass auch eine engere politische Einigung der Nation erst ermöglicht werden könne durch Wiederaufnahme und Lösung der verlassenen universalen Aufgaben, dass sie nur gelingen dürfte unter dem Schutze einer die Ruhe des Welttheiles, wie einst das Kaiserreich, sichernden äussern Machtstellung. An Bausteinen fehlt es nicht; deutschen Herrschern gehorchend oder auf deutsche Hülfe angewiesen erfüllen die Einzelbildungen noch immer die ganze Mitte des Welttheils, nicht zurückbleibend hinter dem Umfange des Reiches, das einst gewesen, da die Gunst des Geschickes im Osten das reichlich ersetzte, was im Westen schon den neuen Herrn gefunden hat. Aber wo wäre der ernstliche Wille mit zeitweisem Verzicht auf Sonderzwecke der verschiedensten Art die Wiederfügung des gewaltigen Gebäudes zu versuchen?

In einer Zeit, welche der Entscheidung zuzudrängen scheint, welche bestimmt sein könnte, den traurigen Schluss der niedergehenden Laufbahn unseres Volkes zu sehen oder aber den Beginn eines neuen Steigens, einer Zeit, in welcher unser Heil von dem richtigen Erfassen und der thatkräftigen Durchführung ähnlicher Aufgaben abzuhängen scheint, wie einst die Väter sie lösten, wird sich jedem, welchen Neigung und Beruf auf die Beschäftigung mit der Geschichte der Nation verweisen, das Bedürfniss nach möglichst eingehender Erkenntniss der vielgegliederten Gestaltung des alten Reiches, der Grundlagen seiner Macht, der Ursachen seines spätern Verfalles doppelt geltend machen; selbst dann, wenn er so manchen Erfahrungen gegenüber kaum mehr darauf hoffen mag, dass solche Erkenntniss noch viel dazu beitragen könne, für die Lösung der grossen Aufgaben den Blick zu schärfen, den Willen zu stärken. So eng die Kreise gezogen sein mögen, deren Erforschung er zunächst sich widmete, von Zeit zu Zeit wird ihm dennoch das Bedürfniss nahe treten müssen, aufschauend vom Einzelnen und Einzelnsten den Blick dem Ganzen zuzuwenden, sich die Frage zu stellen nach den Gründen des Verfalles der Macht und der Einheit des grossen Vaterlandes. Oft wurde sie aufgeworfen und oft beantwortet; und nicht gerade jeder wird sich die Aufgabe stellen müssen, nochmals ganz auf eigenen Füssen stehend die Lösung des Ganzen zu versuchen. Wohl aber wird er sich veranlasst fühlen zu prüfen, ob Einzelnes, das er erforschte, nun auch sich einfügt der Gesammtentwicklung unserer Geschichte, wie er und andere sie sich bisher gedacht haben; vielfach mag er sich dann genöthigt sehen zu ändern an einzelnen Zügen des Bildes und wieder zu ändern; was er unberührt liess, wird die Aufmerksamkeit anderer auf sich ziehen, das Ganze sich dadurch vielleicht zeitweise mannichfach verschieben und verrücken bis der Meister kommt, dessen ordnende Hand ein neues harmonisches Gesammtbild herzustellen

weiss.

Empfohlene Zitierweise:
Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_039.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)