Seite:Ficker Vom Reichsfürstenstande 041.jpg

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Satzung; zumeist sind es Sprüche, ergangen vor dem Reiche über das, was bisher als Recht gegolten, was demnach auch für den Einzelfall als Recht zu gelten habe. Da selbst, wo ausnahmsweise eine anscheinend neue Gesetzgebung vorzuliegen scheint, ergibt sich fast durchweg bei eingehender Prüfung, wie wenig es sich dennoch um eigentlich neue Satzungen handelte, wie nur Zerstreutes zusammengefasst, thatsächlich bereits zu Rechte Bestehendes nun auch förmlich anerkannt wurde.

Und dennoch würden wir irren, wenn wir uns die Aenderungen, welche unsere Verfassung erlitt, als wenig durchgreifend und nur sehr allmälig erfolgend dächten. Ganz im Gegenteile; sie erfolgten zum Theile in verhältnissmässig kurzen Zeiträumen, waren zum Theile der allerdurchgreifendsten Art, und nichts ist bedenklicher, als davon auszugehen, dass staatsrechtliche Zustände, weil wir finden, dass sie zu dieser oder jener Zeit nicht allein bestanden, sondern auch der Meinung der Zeitgenossen nach von jeher so bestanden haben sollen, nun auch für frühere Zeiten als massgebend anzunehmen seien. Dass nach uraltem Herkommen des Reiches sieben Fürsten vor allen auserkoren seien, den Konig zu wählen, dass ihre Einwilligung genüge, aber auch nöthig sei, um seinen Handlungen Gültigkeit zu verleihen, hat schon bei den Anfängen König Rudolfs niemand mehr bezweifelt; und doch finden wir kaum ein halbes Jahrhundert früher nach den unzweideutigsten Zeugnissen ein Wahlrecht aller Fürsten, sind nicht im Stande, einen Vorzug des einen Fürsten vor dem andern bei der Einwilligung zu Reichsgeschäften nachzuweisen; und glauben wir damit auf Altergebrachtes gekommen zu sein, so dürfen wir wieder um kein Menschenalter zurückgreifen, um ein auf ganz verschiedenen Grundlagen beruhendes Fürstenthum zu finden. Wo das Recht von einer höhern gesetzgebenden Gewalt weder ausgeht, noch auch nur von ihr fixirt wird, wo es in der rechtsbildenden Thätigkeit der einzelnen Rechtskreise selbst wurzelnd nur in der mündlichen Ueberlieferung und der tatsächlichen Uebung fortlebt, da wird auch der weiteste Spielraum zu rascher Fortentwicklung desselben gegeben sein, ohne dass damit zugleich die Achtung vor dem Rechte als dem von jeher bestehenden und hergebrachten erschüttert würde. Der gesunde Rechtssinn der Nation wird sich eben so sehr, wie in der Achtung vor dem Bestehenden, zugleich in der Fähigkeit zeigen, dennoch die Wege zu finden, mit der thatsächlichen Entwicklung gleichen Schritt zu halten, das Recht den geänderten Zuständen, den zeitweiligen Bedürfnissen gemäss weiterzubilden und umzubilden, ohne dass bei schrittweisem Vorgehen die Mitlebenden sich dessen auch nur bewusst würden; den Rechtszustand, wie er eben thatsächlich besteht, werden sie sich immer zugleich als den der Vergangenheit denken müssen. Wenn der spätere Forscher beim Vergleiche vereinzelter, oft kein Menschenalter auseinanderliegender Zeugnisse bald gewahrt, wie erheblich in der Zwischenzeit das Recht sich geändert haben müsse, so

fehlt dem Zeitgenossen die Veranlassung zu solchem Vergleiche; er

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Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_041.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)