Seite:Ficker Vom Reichsfürstenstande 047.jpg

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die späteren Zustände des Fürstenthums für unsern Gesichtspunkt von untergeordneter Wichtigkeit, könnte es diesem genügen, nur vorzugehen bis zum Verfalle seiner ursprünglichen Bedeutung, so wird es der stätige Gang der Entwicklung der deutschen Reichsverfassung häufig rathsam machen, auch auf die Zustände der letzten Jahrhunderte einen Blick zu werfen, da wir immerhin hoffen dürfen, auch aus ihnen einiges für frühere Zeiten lernen zu können.

Bezeichneten wir das dreizehnte Jahrhundert als die vorzugsweise beachtenswerthe Zeit der vollsten Entwicklung des Reichsfürstenstandes, so muss es scheinen, als seien wir gerade über die damaligen Verhältnisse genügend unterrichtet. Die damals entstandenen Rechtsbücher bieten uns eine Theorie vom Fürstenstande, wie wir sie für andere Zeiten leider vermissen, welche denn auch den Darstellungen des ganzen Instituts in unseren Verfassungsgeschichten zu Grunde gelegt zu werden pflegt. Und gewiss mit Recht; nirgends ist uns ein Anhaltspunkt von nur annähernd gleicher Wichtigkeit geboten. Aber ist damit das, was zu wissen nöthig und zu wissen möglich, bereits erreicht? Vor allem wird sich das, durch eine auch nur oberflächliche Vergleichung anderer Denkmale leicht zu rechtfertigende Bedenken aufdrängen, ob die hier aufgestellten Grundsätze wirklich überall dem tatsächlich bestehenden Rechtszustande entsprachen. Wären die Rechtsbücher, wenn auch nur als Privatarbeiten, aus der Reichskanzlei hervorgegangen, so würden wir kaum Grund haben, an solcher Uebereinstimmung zu zweifeln; aber dem sächsischen Schöffen, dem süddeutschen Rechtsgelehrten, so genau sie auch über das Recht ihrer Grafschaft, ihrer Stadt unterrichtet sein mochten, standen doch kaum die Mittel zu Gebote, eine gleiche Einsicht in die Gesammtheit des Reichsstaatsrechtes zu gewinnen. Liegt nicht die Vermuthung überaus nahe, dass sie von den staatsrechtlichen Verhältnissen des ihnen zunächst bekannten Kreises ausgehend dieselben willkürlich auf das Reichsganze übertrugen? dass sie sich, und auch dafür scheinen Andeutungen nicht zu fehlen, versucht fühlten, Einzelnes, von dem sie oder ein Gönner wünschten, dass es als Recht angesehen werden möge, als wirklich bestehendes Recht darzustellen? Wohl scheint uns in dieser Richtung der Umstand eine gewisse Gewähr zu bieten, dass die beiden Spiegel in verschiedenen Reichslanden entstanden; aber sie wird wieder dadurch verkürzt, dass dem Süddeutschen die Arbeit des Sachsen vorlag und es fraglich bleibt, wo er der eigenen Einsicht, wo lediglich der Vorlage folgte. Erhebliche Unterschiede zwischen beiden, auch bezüglich des Reichsstaatsrechts, sind nicht zu verkennen; aber worauf beruhen diese? etwa darauf, dass uns dieser den Zustand in der ersten, jener in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts darstellt? oder ist nicht vielmehr das Gewicht darauf zu legen, dass der eine zunächst den Norden, der andere den Süden im Auge hat? Und überdiess, wie weit dürfen wir uns ihre Theorieen rückwärts und vorwärts

wirksam denken, worin liegt der Grund, dass wir überall auf Schwierigkeiten

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Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_047.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)