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66 Was die übrigen geistlichen Würdenträger betrifft, so ist mir nicht bekannt, dass irgend ein Probst zum Reichsfürsten erhoben worden wäre. Auch die Annahme einer Erhebung des Hochmeisters des deutschen Ordens im J. 1226[1] beruht, wie spätere Erörterungen ergeben werden, auf einem Missverständnisse. Erst später wurden um 1510 der Hochmeister des S. Georgenordens zu Mühlstadt in Kärnthen, dessen Würde übrigens eine vorübergehende war, dann 1546 der Johanniterordensmeister zu Heidersheim in den Fürstenstand erhoben.[2]

Es ergibt sich demnach, dass dem Mittelalter eine Errichtung geistlicher Fürstentümer unbekannt war, dass von einer Erhebung zum Fürsten nur dann die Rede ist, wenn ein Geistlicher für seine Person durch Verleihung eines Reichsbisthumes oder einer Reichsabtei Fürst wurde. Da nun Reichsbischöfe und Reichsäbte auch dem ältern Fürstenstande angehörten, so ergibt sich für die geistlichen Fürsten wenigstens aus diesem Verhältnisse nichts, was auf eine Aenderung in der Abgränzung des Standes schliessen liesse.

67 Um so bestimmter ergibt sich das aus den Erhebungen zu weltlichen Fürsten. Nach unseren früheren Erörterungen konnte während der Periode des ältern Fürstenstandes eine solche eigentlich nur stattfinden, wenn ein Edelherr zum Grafen erhoben wurde. Aber der Grafentitel wurde meistentheils ererbt; fanden wir weiter, dass eine Reihe von Edelherren ihn erst im zwölften Jahrhunderte annahmen, so ergab sich zugleich, dass diese Annahme sich nicht an einen bestimmten Zeitpunkt anknüpfen lässt, dass sie selbst vom Reiche nicht durch ausdrückliche Bestimmungen, sondern nur stillschweigend anerkannt worden sein kann.[3] Es konnte nun allerdings ein Edler durch Verleihung einer erledigten oder neugegründeten Grafschaft zum Grafen und damit an einem genau zu bestimmenden Zeitpunkte zum Fürsten werden; aber es ist erklärlich, dass, wenn sich auch Nachrichten über solche Fälle erhalten haben, dabei nur Gewicht auf die Bedeutung des Grafentitels gelegt wird; so heisst es 1154 in urkundlicher Aufzeichnung: H. dux cuidam nobili H. de Bodwede comitivam Razeburgensem in beneficio dedit, per quam primo nomen comitis idem H. sortitus est.[4] Nirgends finden wir eine Erhebung zum Fürsten oder, um uns dem Sprachgebrauche der Zeit anzuschliessen, eine Aufnahme unter die Fürsten in gleichzeitigen Quellen erwähnt; darauf irgend ein Gewicht zu legen scheint den Anschauungen der Zeit ganz fern gewesen zu sein. Als Ausnahme liessen sich nur etwa die Nachrichten der Pegauer Annalen über die Erhebung des Wiprecht von Groitsch zum Markgrafen von der Lausitz anführen. Nachdem zum J. 1117 erzählt ist, wie der Kaiser ihn der Gefangenschaft entliess, wie er wieder in Besitz von Groitsch und Leissnig gelangte,

  1. Gebhardi 1, 292.
  2. Gebhardi 1, 250. 290. Moser 34, 391.
  3. Vgl. § 61.
  4. Lappenberg 1, 189.
Empfohlene Zitierweise:
Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_130.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)