Seite:Ficker Vom Reichsfürstenstande 275.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wurde; doch wurde unzweifelhaft auch er, obwohl uns ein Fürstenthum Görlitz nicht bekannt ist, als Fürst betrachtet, wie ihn z. B. Sigismund 1388 illustrem et magnificum principem dominum J. ducem Gorlicensem et marchionem Lusacie nennt.[1] Der Fürstentitel dürfte sich aber, ohne dass wir auf den entsprechenden Brauch in andern deutschen Fürstenhäusern verweisen müssten, in diesen Fällen auch aus dem Bestehen eines böhmischen Fürstenstandes genügend erklären; und so weit es sich um die Zahl der damaligen Reichsfürsten handelt, werden wir sie unberücksichtigt lassen können. Bei dem raschen Aussterben aller luxemburgischen Linien fiel denn hier zunächst jeder Grund zu weitern Theilungen fort, während in späterer Zeit sogar Böhmen und Mähren immer unmittelbar demselben Herrscher unterstanden.

Unbeachtet liessen wir bisher, dass es zur Zeit der Erhebung Mährens zur Markgrafschaft, Böhmens zum Königreiche noch mehrere Theilfürsten aus dem Hause der Przemysliden gab. Die in Mähren abgefundenen nannten sich nicht bloss Herzoge oder Fürsten von Brünn oder Olmütz, sondern auch von Mähren[2], aber niemals Markgrafen; um den Beginn des dreizehnten Jahrhunderts waren alle ausgestorben. Länger dauerte der Stamm der von einem jüngern Sohne Wladislaw's I. abstammenden Diepholde; schliesslich nach Schlesien ausgewandert starb der letzte des Stammes erst 1241. Sie erscheinen in den Urkunden einfach als dux oder dux Caslawensis, Hrudimensis et Wratislawiensis[3], nur vereinzelt als duces Boemiae.[4] Die Führung des Herzogstitels, auch wo ihm ein eigenes Herzogthum nicht entsprach, war alte Sitte des Hauses; noch 1224 heisst auch der Thronfolger Wenzel: dux Plizensis et Budesensis.[5] Als Reichsfürsten hat man jene Theilherzoge unzweifelhaft nicht betrachtet: in Kaiserurkunden scheinen sie in der Zeit des neuern Fürstenstandes gar nicht vorzukommen.

Während wir so bei zwei westlichen Fürstenthümern, Brabant und 192 Lothringen, welchen sich die lothringischen und burgundischen Grafschaften und die aus ihnen hervorgegangenen Fürstenthümer anschliessen, und bei zwei östlichen, Böhmen und Mähren, die Einheit durchgreifend gewahrt finden, ergibt sich bei allen andern alten Fürstenthümern ein Uebergehen zum Gesammtbesitz oder zur Theilung unter mehrere Fürsten.

Für die Entwicklung dieser Verhältnisse ergibt sich nun die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts als überaus auffallender Wendepunkt, wonach wir eine Periode der Vereinigungen und eine Periode der Theilungen scheiden können, insofern in der erstern ebenso häufig Vereinigungen mehrerer Fürstenthümer unter einem Fürsten erfolgen, wie in der zweiten einzelne Fürstenthümer unter mehrere Fürsten getheilt werden. Liesse sich dieser Gegensatz einigermassen

  1. Pelzel Wencesl. 1, 84.
  2. Vgl. § 13. § 71. n. 10.
  3. 1207: Erben n. 499.
  4. 1230: Erben n. 757.
  5. Erben n. 685.
Empfohlene Zitierweise:
Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_275.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2016)