Seite:Ficker Vom Reichsfürstenstande 402.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

     Es ergibt sich demnach für das dreizehnte Jahrhundert eine Gesammtzahl von 92 geistlichen Reichsfürsten, nämlich ein Patriarch, 7 Erzbischöfe, 39 Bischöfe, 29 Aebte, 16 Aebtissinnen; würden wir noch die Fürstbischöfe der Reiche Arelat und Italien zuziehen, so würde die Gesammtzahl auf 130 bis 140 steigen. Lassen wir aber auch diese unberücksichtigt und ebenso die Aebtissinnen, bei welchen wohl von vornherein anzunehmen ist, dass sie nur dem Titel nach hieher gehören, ohne dass sie in der Lage gewesen wären, den andern Reichsfürsten zustehenden Einfluss auf die Reichsregierung zu üben; dehnen wir das selbst auf eine Anzahl von Aebten aus, bei welchen denselben Schluss uns schon der Umstand nahe legt, dass sie nie oder nur ganz vereinzelt am kaiserlichen Hofe erscheinen: so werden uns doch immer noch mehr als sechszig geistliche Fürsten bleiben, welche an der Ausübung fürstlicher Rechte, wie sich uns im einzelnen ergeben wird, ganz denselben Antheil nahmen, wie die weltlichen Fürsten.

     Vergleichen wir nun damit die früher festgestellten Zahlen der weltlichen Reichsfürsten[1], so ergibt sich für die frühere Zeit ein grosses Missverhältniss beider Klassen; für die erste Zeit nach Ausbildung des neuern Reichsfürstenstandes beträgt die Zahl der geistlichen Fürsten selbst in der angedeuteten Beschränkung das dreifache der Zahl der weltlichen. Dieses Missverhältniss steigert sich dann noch in der Periode, welche wir als die der Vereinigungen bezeichneten. Das Aussterben der Häuser und Linien, welches zum Aufhören oder zur Vereinigung weltlicher Fürstentitel führte, konnte bei den Geistlichen keinen Einfluss üben. Der Fall, dass ein Geistlicher mehrere Fürstenthümer vereinigte, wie seit 1212 der Reichskanzler Konrad Bischof von Metz und Speier war, kam in dieser frühern Zeit überaus selten vor und übte als rein persönliches Verhältniss keinen dauernden Einfluss. Dauernde Vereinigung geistlicher Fürstenthümer, insbesondere Inkorporirung von Reichsabteien in Bisthümer, kam noch im zwölften Jahrhunderte häufig vor; nicht mehr im dreizehnten, wo uns Lorsch das einzige Beispiel bietet; in späterer Zeit finden wir sie nur noch bei Reichenau, Weissenburg und Prüm. Diese Stätigkeit der Zahl der geistlichen Fürsten und Verminderung der weltlichen führte bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts zu einer fünffachen Ueberzahl der ersteren.

     Von da ab glich sich nun das Missverhältniss mehr und mehr aus. Stieg die Zahl der weltlichen Fürsten durch Gesammtbesitz und Theilungen, so fehlt jedes entsprechende Verhältniss für die geistlichen. Stieg jene durch zahlreiche Erhebungen in den Fürstenstand, so fanden solche, wie wir sahen, bei Geistlichen in früherer Zeit gar nicht statt; die Erhebungen von Geistlichen in den letzten Jahrhunderten gaben aber nur den Titel, keine Stimme; die Erhebung des Johannitermeisters ist die einzige, durch welche die Zahl der geistlichen Stimmen vermehrt

  1. Vgl. § 198.
Empfohlene Zitierweise:
Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_402.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2018)