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sie sind „kunstmärchen einzelner gelehrter“. Da die ursprünglichere form nicht aus der jüngeren entstanden ist, folgt daraus, dass die literarischen indischen märchen nicht die quelle der märchen der anderen länder gewesen sein können. Es ist jedoch zu beachten, dass dies nur von jenen literarischen märchenformen gilt und noch nicht beweist, dass Indien nicht die heimat dieser märchen sein könnte. Die indischen literarischen märchen fussen grossenteils auf älteren volkstümlichen märchen, sagt der verfasser selbst. Vielleicht vertreten diese volkstümlichen indischen vorbilder ursprüngliche formen der märchen und haben sich ohne literarische vermittlung mündlich nach den anderen ländern verbreitet. Ich meinerseits glaube, dass, wenn vom einfluss der indischen märchen die rede ist, immer dieser seite der frage genügend beachtung geschenkt werden müsste. Dabei ist auch zu beachten, dass im alten Indien natürlich auch viele andere märchen ausser den in der literatur erhaltenen bekannt gewesen sind, und auch diese können sich nach anderen ländern verbreitet haben.

Sehr gering schätzt Forke den einfluss der indischen märchen auf die märchen anderer länder ein. Ohne zweifel übertreibt er in diesem punkte. Bei der beurteilung der bedeutung jener märchen muss man bedenken, dass Indien ein altes kulturland ist, in dem märchen in grosser menge bekannt und sehr beliebt gewesen sind. In anbetracht dessen ist es wahrscheinlich, dass die indischen märchen stärker als gewöhnlich nach aussen auf andere länder gewirkt haben.

Wenn Forke von den indischen märchen keine hohe vorstellung hat, geht v. d. Leyen in ihrer bewunderung zu weit. Übertrieben scheint mir z. b. sein lob der indischen erzählungskunst. Dieses macht schon darum einen weniger glaubhaften eindruck, weil in dem werke mit gleicher begeisterung auch die erzählungskunst der araber geschildert wird, obwohl sie sich in ihrer art anders darstellt. Gewagt ist auch die äusserung, dass die anderen länder im vergleich mit Indien „sehr wenige originale märchen“ haben. Eine solche behauptung setzt eine viel genauere kenntnis der alten märchenschätze anderer länder voraus, als sie heute möglich ist. Eine besondere verehrung Benfeys tritt in folgenden worten v. d. Leyens hervor: „Die behauptung, die man immer von neuem hört, ist

Empfohlene Zitierweise:
Kaarle Krohn, Emil Nestor Setälä, Yrjö Wichmann (Hrsg.): Finnisch-ugrische Forschungen, Band 12. Red. der Zeitschrift; Otto Harrassowitz, Helsingfors; Leipzig 1912, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Finnisch-ugrische_Forschungen_12_144.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)