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Nro. 25.
1. II. Band.
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Moderner Narrenspiegel.


Auch die neuere Zeit hat ihre Schmarotzer, ihre Parasyten, ihre Gesellschafts- und Tischnarren, müßiggängerische Leute gewöhnlich in höheren Jahren, die sich für das Unterhaltungsfach förmlich vorgebildet haben.

Schon als Jünglinge ordneten sie gern Landpartien, Gesellschafts- und Pfänderspiele an, machten den Vortänzer, unterhielten die Damen durch herkömmliche Complimente und schaale leichtfaßliche Witzworte und Wortwitze, trugen deren Shawls und Umschlagetücher, holten ihnen Sessel und Fußbänkchen herbei, hoben sie in und aus dem Wagen, lasen den jungen Fräuleins jeden Wunsch, jedes Verlangen vom Gesichte ab, ohne darüber die Tante und Mutter oder ältere Schwester zu vernachlässigen.

Diese fliegenden Adjutanten der Gesellschaft haben ein zwar angenehmes aber schweres Amt.

Man denke sich die schreckliche Verwirrung bei einem Landvergnügen, wenn sich der Himmel plötzlich und unerwartet mit einem Wolkenmantel bedeckt und aus dessen Falten Ströme von Regen herabschüttet!

Von je fünf zu fünf Minuten muß der Gesellschaftsadjutant vor die Thüre des Wirthshauses, um über das Wetter Bericht zu erstatten; er muß vielleicht für ein Abendbrod, welches nicht in seiner Berechnung lag, den letzten Kreuzer springen lassen, er muß zur Unterhaltung und Zerstreuung der jammernden Damen ein Spiel, vielleicht ein Pfänderspiel, wobei die Leidenschaften noch am meisten in Aufregung kommen, auf’s schnellste anordnen; sein Herz blutet noch über dem letzten Kreuzer, er darf sich aber seinen Gram nicht merken lassen, er muß als Märtyrer seiner Pflicht immer nur lächeln, lachen, scherzen und die tollsten Witze und Possen erfinden.



Der Regen strömt fort; man kann doch bis zum Morgen nicht warten; man bequemt sich, den Rückweg einzuschlagen. Neue Mühsal! Für jeden Schritt, welchen diese oder jene Dame thut, ist er verantwortlich; überall hin muß er mit dem Fuße vortasten, ob da der Weg nicht grundlos sei; sein Taschentuch, obschon er ein wenig am Schnupfen leidet, hat er bereits über den Hut derjenigen jungen Dame gebreitet, welche das Privilegium besitzt, vorzugsweise seine Dienste in Anspruch nehmen zu dürfen. Mit den Worten: „Sorgen Sie nur für meine Therese; sie hat einen neuen Hut; daß uns nur der nicht verdirbt!" hat ihre Mutter sie dem jungen Manne an’s Herz gelegt; vielleicht wird Therese, im geistigen Gefühle überströmenden Regens, sich heut, wo Jeder mit sich selbst beschäftigt ist, ihm wirklich an’s Herz legen, vielleicht ist gar ein Kuß der Lohn für seine unermüdliche Ausdauer.

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 001. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/5&oldid=- (Version vom 23.9.2020)