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Fragmente aus dem Tagebuche eines reisenden Neu-Franken: Fragmente aus dem Tagebuche eines reisenden Neu-Franken (1798)

Anderer gegeben hat, gegen den man nicht den Schein haben möchte, daß man ärmer, kärger, oder wohl gar für das Wohl des Vaterlandes weniger besorgt wäre.

Ein auffallender Zug von niedriger Bigotterie ist in dem Gesichte des Wieners nicht zu verkennen und er hat hierinn mit den Bayern eine große Aehnlichkeit. Er weiß es nicht genug zu rühmen, daß der jetzige Kaiser wieder alle Prozeßionen in und ausser der Stadt erlaubt hat. Diesen Sommer sah ich ihn hier in seinem Elemente. Eine Prozeßion nach dem berühmten Wallfahrtsorte Mariazell in Steiermark gab die Veranlassung dazu. Einige der angesehensten Bürger hatten sie veranstaltet und sie wurde vom Hof aus protegirt. Ich sage dir lieber Freund, ich habe noch nie eine größere Anzahl Menschen zusammen gesehen, als an dem Tage des Auszuges dieser Prozeßion. Ich wohne hier in der Kärntnerstraße, der einzigen, welche gerade durch die Stadt führt und da mußten die Bittfahrer unter meinem Fenster vorüber. Schon um 4. Uhr Morgens störte mich ein Getöse von Glocken, Beten, Singen u. dergl. aus dem Schlafe. Da hatte ich nun, so weit ich die Straße übersehen konnte, ungefähr eine halbe Viertelstunde in der Länge, nichts als Menschenköpfe vor den Augen; die Leiber waren gar nicht zu sehen, denn