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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Über dem kleinen kurländischen Flecken hingen schwere Gewitterwolken. Der schlecht gepflasterte Marktplatz war heute schneller geräumt worden wie sonst. Heftige Windstöße wirbelten den Staub in mächtigen Massen aufwärts und trugen ihn nach allen Richtungen auseinander. Die Läden der kleinen jüdischen Handlungen wurden vorsorglich geschlossen und manch ängstliches Hebräergesicht schaute besorgt auf den düsteren schwarzgrauen Himmel.

Im Zickzackfluge zuckte ein greller Blitz und erleuchtete die lutherische Kirche. Ein jäher Windstoß zauste die Bäume, die sie umstanden, und bog sie hin und her, als wären die alten Linden Rutenbündel. Und nun ertönte das erste schwere Donnergrollen.

Eilig schritten zwei Gestalten über die Brücke, die aus dem Flecken hinausführte. Das Flüßchen, das sich um den Ort im Halbkreise herumwindet, strömte schwarz und düster dahin und auf seiner Oberfläche kräuselten sich kleine unruhige Schaumkämme.

„Stepan Nikolaitsch, ich fürcht’ mich –“ sagte eine ängstliche

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/107&oldid=- (Version vom 1.8.2018)